Sonntag, 7. Februar 2010

Am Friedhof tschilpt der Frühlingsvogel

Auf den Hügeln wird es grün. Blau dehnt der Himmel die Kälte aus. Vögel üben ihre Flügel.

An der Wurzel der Linde umarmt ein Schneeärmel den Schmutz und legt etwas Schmutz auf die tauende Vergänglichkeit.

Der Regen hat aufgehört. Ein Bächlein läuft geschwind über die Straße benannten Betonplatten und putzt die schwarzen Schuhe. Die wenigen Tränen aber werden in Tempotaschentücher gesaugt.

Es ist noch zu kalt. Man kann die Frühlingserde noch nicht riechen. Die Hände bleiben erstarrt ineinander gesteckt. Die Gesichter, in den Himmel oder auf die Erde gewandt, verschwinden hinter einer eingedickten Miene Ernst.

Aber der Frühlingsvogel tschilpt.

Der Pfarrer leiert toten Text. Die Herrschaft tritt zur Beerdigung eines Dieners an. Ich reihe mich ein unter die tränenlosen Statisten eines ausgelöschten Lebens.

Man hält den Schrecken der Todesmacht nicht aus und flüstert einander Neugieriges zu. Die Angehörigen beobachten uns, wir suchen in unseren Tränensäcken nach Gefühl und Sinn. Von ferne dünn die Glocken. Wer erinnert sich noch an die Botschaft?

Siehst Du die Macht im Ruhestand? Hüte Dich vor der Erfüllung von Wünschen!- Sieh den Kreis der Einsamkeit, der um ein Zentrum von entleertem Ich ausläuft. Ehrfurcht, Furcht wurden ihm vom Leib gezogen. Des alten Kaisers neue Kleider sind nicht durchsichtig. Sie sind von feinstem Stöffchen, machen unsichtbar, unberührbar wie das Alter. Was geschieht, wenn der Herrschaft die Macht über die Entscheidung genommen wird, wenn das Alter kommt, die Unaufrichtigkeit des Grußes wird nicht mehr von Furcht gewürzt ist.

Vom alten Nimbus ist noch etwas da. Nicht bei den geborenen Knechten, die Ruinen scheuen und ihre faule Treue längst zur neuen Herrschaft trugen. Bei den Freien, die er verletzte und bei den ungeschickten Treuen von der alten Art, die noch nie etwas bemerkten. Er ist von ausgebleichtem Plastik. Ein junger Streber wird kommen, ein wenig zu fest zupacken und es zerbrechen. Nicht einmal ein triumphierendes Aufatmen der überlebenden Feinde wird zu hören sein. Ein Knax in einem Turm der Stille. Die Vögel werden ein kurzes „na und!“ tschilpen. Armer Bub. Was haben sie aus Dir gemacht?

Auf den nassen Platten wird der Schmutz des Winters frei. Klein gebrochene Zweige in schwarzen Punkten und Strichen, wenige Blätter, Split rot und schwarz, der unter unruhigen Schuhen in die Oberfläche kratzt. Unter ihnen zermalmt die Zeit die Knochen meines Freundes. Fremd stehe ich unter Fremden.

Wieviele fühlen? In Frieden zu ruhn hatte auch dieser hier nicht vor. Als die Frau unter Tränen aufschluchzt senkt sich eine Glocke Scham über die Wenigen, schützt sie vor unserer Gleichgültigkeit. Es gehört sich, diesen unauffälligen Mannes geköpfter Hoffnung Spalier zu stehen. Er gehörte dazu. Er nahm seine Aufgabe wahr, wie wir es tun, sofern wir Menschen und Leben nicht spielen. Das Räderwerk stockt einen Moment. Du bekommst die Gelegenheit, zu fühlen, nachzudenken, in die Augen eines Anderen zu sehen.

Sieh Dich an: Aus der Grube tschilpt der Frühlingsvogel.

Du hast noch einen Tag.

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