Sonntag, 3. August 2008

Der Sonntag vom heißen Sand.

Dieser Sonntag riecht wie eine faule Feige, schreibt der japanische Schriftsteller. Ich sehe heißen Sand zwischen den Gemüse-Beeten. Wer hat Gemüse noch im Garten? Es wächst weit draußen, wo der Bauer seine Bulgaren vor der Erntemaschine her treibt.

Der Schatten des Hauses schneidet ein Stück des Gartens weg. Ein grau bestäubtes Kraut, eine schlaff auf der Erde liegende grüne Frucht begrüßen die Einsamen und Geschäftigen.

Es lockt aus dem Schatten. Sie aber kommen aus den Regentagen. Sie schleppen sich zu den Begegnungsstätten der Hoffnung und der aufgegebenen Sehnsucht. Da gibt es Sonnenschirme und Kaffee vom stehenden Wasser. Die Männer zeigen einige Zentimeter liebestötende Ritze über verrutschtem Gürtel, die Frauen spreizen die Finger, bevor sie das Eis über die Zunge schieben, während der ausgehungerte Magen sich die Wände wund reibt.

Was schwirrt so lustig in den Gesprächen? Der Mann versteht nicht. Seine Gedanken versinken im Bild eines in glühendem Sand angelegten Gemüse- Gartens. Der Rauch seiner Zigarette findet den Weg nicht in einen fröhlichen Winkel der Mittagsstunde.

An einer Rose vorbei gehe ich zur Arbeit. Ein Stück saure Fruchtgummi-Schlange liegt am Weg. Eine blau-lila Budelaia und ein Presslufthammer grüßen mit Bienen und kreischendem Abriss. Migräne kommt, Amsel und Rotschwanz, LKW und Musik-Brüllen aus Bayreuth.

An einem Körper mit weichen Haaren ruht die Erschöpfung sich aus. Sie träumt von einem in der Hochsommerhitze liegenden Garten. Im Sand verdurstet die Seele.

Unter einem Kürbisblatt spitzt ein Regenpfeifer die Lippen, um eine Wolke herbeizupfeifen. Der Himmel öffnet ein dunkles Märchen, aus dem Schatten von Träumen auf die Erde wehen. Sie wirbeln die festgezurrte Wolke des Regenpfeifers über die Beete. Eine Schnecke bricht aus dem Sand hervor.

Und dann ein Gewitter.

Die Bäume biegen sich. Sie weinen. Ein Knall. Die Leitungen! Der Nerv des Lebens.

Ein Hund kläfft verzweifelt. In den Bergen wird ein Mensch erschlagen. Regen wäscht uns fort.

All unsere Verbissenheit weicht einer frohen Hoffnung auf einen neuen Tag.

Klaus Wachowski 31.07.08 Damals noch bei Lulu.com

Sonntag, 1. Juni 2008

Philosophische Psychiatrie

Wes bedarf der Mensch? Nicht des Brotes allein. Aber so baut er Städte, so brennt er sie nieder.

Er riecht an einem Jasmin aus des Propheten heiligen Garten. Er tritt das Gaspedal des Terrortrucks ganz durch. Er hört den Ruf des Pfau.

Ein Märchen zieht den Wickelrock aus, legt das Kopftuch um seine Glatze. Er küsst es auf den Schnittpunkt des Eros mit der Phantasie.

Die Wälder versinken, das Geheimnis des dunklen Brunnens versiegt, ein Pfauenruf wie ein Todesschrei.
Le seminatori de grano des Gianmaria Testa. Sie kommen über die Hochebene mit sorgsamen Schritten. Sie säen das Korn verborgen vor den Fernstechern der Polizei. Und die Sonne erhebt sich in einen neuen Tag des kollektiven Freizeitparks.

Der Sozialaristokrat Plechanow erschrickt über den Zugang einer Seniorengesellschaft zu den Bedürfnissen, ein verrosteter homo dubiosus für das Privatfernsehen, dieser Privatversteher mit echten Rentnern in der Vitrine.

Schlaufweichungen bedrohen die Stadt. Die Stücke, die den rund 100 Zuschauern bei ihrem Pilgerzug durch die Innenstadt im 20-Minuten-Rhythmus gezeigt werden, sind spannend, skurril, brutal und witzig zugleich. Die ganze Bandbreite zeitgenössischer Dramatik eben.

"In uns herrscht die Brutalität, und es ist nur die Balance von Schutzfaktoren, die den Ausbruch verhindert," sagt Roth. Spannend und bedrängend zugleich.

"Kampf der Wampe!", ruft es aus der Wellnes-Ecke: "Bauchfett bringt Stoffwechsel durcheinander."

Braun ist die Hütte, aus deren Inneren Adjou auf den Lärm hinaus sieht. Er hat die Zeit der ideologischen Massenmorde überlebt, Flucht und Aufbau und nun das hier: der kollektive Freizeitpark von Gnaden der Gleichgültigkeit. Der Mensch als Zuschauer. Laß, laß... Soviel Wahn, Hoffnung, Sehnsucht umsonst. Soviel Sterben für Leben umsonst... "Hallo, Bidjou!", eine Liebe, eine verlorene Lust.

Ein Priester stolpert vorbei. Mal Missionar, mal Entwicklungshelfer gewesen, jetzt einsam in der Leere einer juxenden, juckreizvollen Genusswelt. Der Sinn im Genussmittel, Sinnlichkeit und Ichverlust der Lustgesteuerten. Wo bist Du, Gott des Whiskey? Sind besoffene Massai wirklich von besoffenen Deutschen zu unterschieden?

Da draußen, dieses alles beäugelnde endlose Verliebtsein, ein Bienenschwarm. Von der Arbeitsameise zur Lustmaschine. Man spielt Politik, Diktatur, Lynchjustiz und säuft Blut aus Cocktailgläsern des Privatfernsehens. Verbrechen aus Lust verdrängen Verbrechen aus Leidenschaft. Der Physiotherapeut lockert den schmerzenden Muskel, foltert abends für das Sadomaso-Casting. Superstar, Supercop, Superdepp, ist das der Höhepunkt der menschlichen Entwicklung? Ich bin der Herr, Dein Jux, Du sollst keine anderen Animateure neben mir haben.

Für Karl Kraus war es gefährlicher, einem Kärrner als einem Kaiser, es kommt so weit, dass es schlimmer ist, einem Bohlen die Wahrheit zu sagen.

Neue Formen des Verbrechens: Morden aus Lust, Zusehen aus Lust, Wiederholung der Lust in der öffentlichen Präsentation. Wo bleiben die neuen Strafen? Bürger zu Kunde, und noch tiefer sinkt die entpersonalisierte Person: zum Publikum. Den Anspruch auf solidarische Hilfe haben die Hartzer von Cohiba und Currywurst in ein Billet zur Teilnahme an einer Massenfütterung umgeswicht. Chips und Spiele.
Sportler und Schauspieler, Moderatoren und Mediendiktatoren werden Präsident. Die Republik erwartet den Einzug des Blumentopf-bekränzten Caesar. Die Provinz spiegelt den Zerfall in der Erektion von Dialekt, im kollektiven Orgasmus von Heimatfest und Lynchjustiz.

Rom geht unter im Imperium. Primitive fundamentalistische Cliquen und Stammesverbände vom Pflasterstrand brennen ihre Tribals in die adipös gewordene Beute.

Adjou erinnert sich an das Fest der Psychiatrie, bei dem seine Analytikerin im Dutt umherstolzierte. Er wird nie mehr vertrauen.

Die Band spielte einen traurigen Rock aus kahlen Köpfen und erlöschenden Leidenschaften. Roberto Blanco und Stefan Silbernagel aber lächeln einen immerwährenden Spaß vom Sonntag.

Ein Wolkenbruch jagt die Glückseligkeit auseinander.

Der Mensch wird wieder zu sich zurückkehren: Dort schnattern Drei über allerlei bunt blühende Belanglosigkeiten des täglichen Werdens und Vergehens, Tod und Geburt, Verwandtschaft, Nachbarschaft, Schönheit und Schäbigkeit. Alle Gentechnik hat Unterschiedslosigkeit nicht heranzüchten können. Man lebt an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Sonnen- und Schattenflecken. Auch sein Klon, zwei Tische weiter lacht ein anderes Lachen aus einer anderen Erfahrung von Einsamkeit und Vertrauen. Was weiß er von Bob Dylan und Bierbauchhormonen? Es ist gleich, ob wir gleich sind oder einander nur gleichen.

Alles ist eitel in der Abwesenheit des Wissens um das Lebend-Dürfen, Sterbens-Müssen. Adjou lacht. Sein Klon fällt ein,- eine zehntel Sekunde später. Der entscheidende Unterschied, der nicht mehr nur räumlich ist.
Er sieht hinaus, der Mensch kommt zu sich. Es gibt das Leben. Es gibt den Tod.

30.05.08 Klaus Wachowski

Sonntag, 4. Mai 2008

Ego, Liebe, Mitfühlen, Freundschaft - Gedanken 2008

Ego, Liebe, Mitfühlen, Freundschaft

"Demnach gibt es, den vier Gestalten des Satzes vom Grunde gemäß, eine vierfache Notwendigkeit:

Die logische, nach dem Satz vom Erkenntnisgrunde, .. Die physische, nach dem Gesetz der Kausalität,…

Die mathematische,..

Die moralische…

Arthur Schopenhauer

Ein kleiner Essay zur Gefühlsverwirrung

für Arthur Schopenhauer

Ob die Liebe zur Wahrheit uns klüger macht? Das Gegenteil ist der Fall: sobald wir die Philosophie betreten, beginnt der Boden zu wanken, flattert unser Wissen in tausend Bedenklichkeiten davon, denen unsere Fragen tölpelhaft und erfolglos nachspringen. Unbelehrbar werfen wir neue Netze aus.

Nichts ist uns gewisser, als Ich und Welt. Kant und Schopenhauer zeigen, dass es keinen Beweis gibt, der uns die Existenz von Ich und Welt belegen könnte. Wir müssen so mit der unmittelbaren, vor jedem Beweis -a priori - gewissen Gewissheit vorlieb nehmen, dass die Welt eben nichts weiter ist als erkanntes Objekt und nie erkanntes, erkennendes Subjekt.

Dass die Welt mehr als Vorstellung ist, davon gehen wir von Geburt an aus. Meinem Ich entspricht ein Du, ein Ich-noch-einmal in anderer Gestalt. Diese Menschen sind nicht Schatten oder elektrische Automaten. Ich weiß es nicht von Beweisen, sondern es ist Teil des Selbstbewußeins, das auch das von Anderen ist. Das Baby empfängt in den taktilen Reizen nicht nur ein gutes Gefühl oder zu wenig davon, sondern auch die wohl tuende Gewissheit "Mutter". Es soll psychische Erkrankungen geben, die sich im Verlust eben dieses "Das Du ist ein Ich" zeigen.

Kann der Mensch mehr als 4 Kategorien gleichzeitig nicht betrachten? Gibt es eine Verführung zum symmetrischen Klassifizieren? Der vierfachen Wurzel vom zureichenden Grund in Bezug auf menschliche Erkenntnis scheint mir - ohne erkennbaren systematischen Bezug aus der Sache - eine vierfache Ausgestaltung, Orientierung des (moralischen) Fühlens gegenüber zu stehen.

Wie im Traum erscheint uns oft die Automatik des Handelns bei gegebenem äußerem Reiz. Viele, auch ich, lassen sich leicht dazu verleiten, aus vorhandenen Reizen auf ein notwendig folgendes, bestimmtes Handeln zu schließen. Sie überschätzen dabei die Möglichkeit, Stärke und Gestalt der Irritierbarkeit des Charakters einschätzen zu können, dessen Beschaffenheit und Zustand ja den dem Reiz gleich wichtigen zweiten Teil des Motivs ausmachen, das die Handlung zeugt.

Vier unterschiedliche Formen kann der Charakter bei der Begegnung mit Reizen für den Willen annehmen. Sie ähneln einander und werden daher bei der Auslegung von menschlichem Handeln oft verwechselt. Von daher erklärt sich mancher Unterschied in der Beurteilung von Motiv und Charakter. Aber gerade deshalb ist es so wichtig, die Unterschiede der Willenserscheinung fest zu halten, sie nicht miteinander zu verquicken oder gar aufeinander zu beziehen. Licht und Wärme verhalten sich als elektro-magnetische Wellen, können Körper dazu anregen, jeweils auch die andere Erscheinung zu zeigen, nicht aber selbst sich in die andere Form verwandeln. Von den vier Erscheinungsformen des Charakters: Egoismus, Liebe, Mitfühlen und Freundschaft können alle gleichzeitig in einer Handlung sichtbar werden, sie bleiben jedoch unvermischbar voneinander getrennt.

Egoismus

ist die Orientierung des Willens, die auf Erhaltung und Entfaltung des Selbst zielt. Anderes und andere Personen werden in die Rechnung als Mittel oder Störung einbezogen, für dieses Fühlen ist alles außerhalb des Selbst ohne Reiz. Der Egoismus geht über Leichen, sofern Angst oder Lust nicht anderes Handeln empfehlen.

Adam Smith und Karl Marx gehören zu den Theoretikern, die dem Charakter außer dem Egoismus andere Motive des Handelns nicht zusprechen. Zu Mitleid, Liebe und Freundschaft fällt ihnen nicht viel mehr ein, als dass es sich um unbedeutende Gefühlsäußerungen handelt, die der Entwicklungsautomatik einer nach egoistischen Motiven unaufhaltsam voranschreitenden Welt im Weg stehen. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Und das Glück kommt über die vernünftige Einigung der Wölfe oder durch den Sieg der stärksten zustande. Bei Marx dadurch, dass die Fleischproduktion so groß ist, dass der Egoismus satt ist. Sie vernachlässigen bereits, dass der Egoismus keineswegs auf eine allgemeine Entwicklung ausgehen muss, sondern auch ganz vernünftig auf irgendeinen roten Knopf drücken kann, um etwa seine Ruhe zu haben. Selbstmord des japanischen Piloten eines Passagierflugzeugs. Und selbstverständlich will nicht jeder Egoist auf seinen Kühlschrank warten, bis alle einen bekommen haben. Schließlich ist neben friedlichem Konsum auch die Aufregung der Freiheit für manchen Egoismus von Interesse (DDR), daneben all das zwischen Kultur und Religion, Sex, Drugs Privatfernsehen & Rock´n Roll, das Gesetze, Diktatoren und Amokläufer auf den Plan ruft.

Liebe

Das Ego braucht Handlungsfreiheit, die Liebe Nähe. (Die Lust ist ein Trick der Natur, beide zu Fortsetzungszwecken unter eine Decke zu kriegen. Dabei hat sie vergessen, dass Lust auch ohne Liebe lustig reitet und diese auf Nähe, nicht auf sexuelle Form geht.)

Vom Anfang des Lebens bis zum Ende begleitet Dich Liebe oder die Sehnsucht danach. Sie gibt und nimmt ihm seinen Wert. Alle lieben, zu wenige werden geliebt, noch wenigere von denen, nach denen ihre Sehnsucht geht. So kommt mit der den Egoismus fesselnden Liebe, die Einsamkeit, ihr Leid. Mein Freund und Therapeut H: das ist meine Antwort auf die Frage, warum Einsamkeit weh tut.

Der Mönch sehnt sich nach der Liebe selbst und nennt sie Gott. Der Buddhist versucht mit dem Ich sowohl den Egoismus als auch die Liebe blöd zu meditieren. Es gibt bei irritierbarem oder grobem Nervensystem und Erfahrung mit zu enger Liebe Aversionen gegen sie, aber irgendwo ist immer auch eine schmerzende Sehnsucht oder Erinnerung nach - Liebe, Familie, Nähe.

Die Pubertät als eine Zeit der intensiven Selbstfindung, Wendung, kann als Entwicklung des Ego verkannt werden, wenn ihr Ziel außer Acht gelassen wird: die Ermöglichung erwachsener Liebe zu einer, einem Anderen durch Auszug, Flucht aus der Kindheit und ihrer Liebe. Kaum ein Lebensabschnitt weist weniger Kälte und Unbarmherzigkeit aus, aus befreitem Ego, aus der Rücksichtslosigkeit großer Liebe.

Mitfühlen

Mitleiden - aber auch, sich an Leiden Weiden, Bosheit- ist eine eigene Form der Erregung des Willens, die weder auf das Wohl des Ich noch auf die liebende Verschmelzung mit einem Du gerichtet ist. Der Mitleidende muss helfen, um zufrieden zu sein und hat insofern seinen Lohn dahin, weshalb die Frage des Egoismus: "Was hast Du davon?" nicht gerade von Urteilskraft spricht. Aber nicht eigenes Wohl sondern fremdes Weh ruft ihn zur Tat. Das Leid öffnet in diesem Fall den Schutzmantel des Selbstbewusstseins und veranlasst uns, aus einem uns fremden Willen heraus in seinem Interesse zu handeln. Neben Leid steckt aber auch Glück an. Begeisterung ist die Form dieser Äußerung von Mitfühlen.

Wie beim Egoismus und der Liebe können wir auch hier zwar beschreiben, worauf dieses Fühlen ausgeht. Was diese im Handeln sichtbare, im Fühlen deutlich unterschiedene Regung an sich ist außer Wille, können wir weder mit Sinnen noch mit der Vernunft erkennen. Die Neurobiologie hat nun den Ort des Mitfühlens in den Spiegelneuronen entdeckt. Ihre Aussagekraft wird überschätzt. Auch sie kann wie jede andere Wissenschaft das wie, wo und wann von Erscheinungen nachweisen. Das Was und das Daß zu bestaunen bleibt der Philosophie und der Religion. Ob das, was die Spiegelneuronen im Charakter auslöst Mitleid sein kann, ob jenes Mitfühlen nur eine phantasierte Erscheinung ist oder dem entspricht, was ich bei mir als Mitfühlen empfinde, das kann ich nur spekulieren. Ich und Du sind mir offensichtlich ohne weitere Erklärung a priori vorhanden.

Den Unterschied zum Egoismus können wir leicht erfühlen, den zur Liebe erfahren wir z. B. in den Fällen der Verliebtheit, wo Mitleiden Annäherung vielleicht zulässt, aber, für den Enttäuschten deutlich fühlbar, nicht will. Das Kriterium, das Liebe zur Beantwortung der Frage nach Erwiderung der Liebe anwendet, sofern noch Urteilskraft und Sensibilität übrig ist, ist Interesse: Sie fragt argwöhnisch: Hast Du denn überhaupt Lust mit (nämlich Interesse an) mir? Dramen beschreiben den Irrtum Liebender über das Motiv einer -nur- helfenden, nicht verliebten geliebten Person. Wie oft enttäuscht aber auch Begeisterung den Liebesbedürftigen, deren Interesse ja nur auf einen Zustand, nicht auf das Wesen einer geliebt sein wollenden Person gerichtet ist.

Ausflug: Liebe und Moral

Auch ich habe kein Darlehen für die Hungernden aufgenommen, sondern ein Haus gebaut. Auch sonst hätte ich mehr helfen können. Ein Verrat von 68 bestand für viele in der Abwendung vom Mitfühlen bei Rückzug in die Beziehung (ein anderer an der -politischen- Freiheit durch Hochzeit). Auch ich habe kaum noch Treuepunkte. Freude am Leiden, die Rückseite des Mitleides, fesselt tausende von Fernsehzuschauern etwa beim Vergnügen DSDS, das hauptsächlich darin besteht, Hoffnungen zerstört zu sehen. Selbstverständlich sollte eine auf Genuss an Entwertung gehende Sendung verboten werden. Auch Grausamkeit, diese dunkle Form des "Mit"gefühls, kann stärker sein als der Egoismus, der z. B. den Verbrecher empfiehlt, rechtzeitig vor der Entdeckung zu fliehn, statt sich weiter am Anblick von Leiden zu freuen.

Freundschaft,

Solidarität, sympathisches Interesse des frei geborenen Menschen am Menschen lernen wir wohl zuerst in der Begegnung mit Schwester und Bruder kennen, wo wir über das Familienband der Konkurrenz (wer ist Mutter oder Vater näher) hinaus gemeinsam handeln. Mit Liebe verwechselt ("wir sind alle eine große Familie") geht sie eben anders als jene nicht auf Nähe und Verschmelzung aus, sondern auf Raum lassende Gemeinschaft der Unterschiedenen, der im Wert gleichen, der Freien, die ebenso Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wollen.

Freundschaft ist das Modell der Republik, Familie wird gern als Modell des Feudalismus und Faschismus zitiert und in mafiosen Cliquen. Die Band der 70er Jahre war ein Symptom der diese Jahre prägenden Kraft Freundschaft, der Backslash ins Ego brachte den Starkult.

68 war die Zeit des Aufbruchs aus der Familie in die Solidarität. Sexualität, Befreiung des Ich, wollte gleich und herrschaftsfrei unter Gleichen genossen werden. Liebe war das Wort, aber nicht sie war gemeint, sondern einmal Caritas, Nächstenliebe oder Liebe zur Menschheit, Freundschaft mit allen als frei und gleich gedachten Menschen. Als Liebe dann real in ihrer sozusagen dreidimensionalen Form auftrat und als Todesengel der Freundschaft Paare und Familien aus der Bewegung der Solidarität weg zum persönlichen Glück zog, war das "Verrat der Spießer", also das Schlimmste, was sich denken ließ. Heute, aus der Beziehung wieder zu sich kommend, entdecken viele neben sich auch den Wert der Freundschaft wieder, erinnern sich sehnsüchtig an 68.

Parteien haben etwas von Solidarität in sich. Soweit sie aber dem Ziel nach Erfolg brauchen, kommen sie oft in den Zwang, zu organisieren, auszusortieren, zu werten und entwerten. Egoistische Tricks der Herrschaft, familiäre Sehnsüchte für eingeschwemmte Einsamkeiten (Heimatsülz), Beschränkung der Freundschaft auf gemeinsame Interessen, ergeben dann ein widerwärtiges Schauspiel. Die Erholung tritt ein bei Wiedereinführung der Gleichwertigkeit und der Achtung auch den anders Meinenden gegenüber. Partei wird dann nicht nur für Egoisten sondern auch für freie Bürger wieder interessant. Misserfolg der PDS, Untergang der Grünen: Unterordnung zwar nicht unter Menschen aber unter Ziele- statt diese miteinander abzusprechen-, damit eben doch auch Unterordnung unter Führer.

So ist neben der auf Wert der Person gegründeten Republik wohl die Selbsthilfegruppe das moderne Anzeichen von Wirklichkeit der Freundschaft des Menschen gegen den Menschen, die so oft missbraucht wird, um unter Ausblendung des Menschen höhere Zwecke (Ideologien usw) durch Mord und Massenmord zu befördern.

Freundschaft ist eine Errungenschaft der neuen, durch die Person geprägten Welt. Die Vorwelt der Familien- und Clanbezogenen Zeiten des Mittelalters und grässlicherer Völkerwanderung kannte nicht Individuum, Dialog, Freundschaft. Zeugnisse von Freundschaft ragen wie Monolithe aus den Wüsten von Sitte, Monolog, Beschränkung des Horizonts auf Heimat.

Woher habe ich die Gewissheit von der Gleichwertigkeit der Anderen? Es ist eines der nicht erklärbaren Wunder, dieses angeborene Vertrauen in den Menschen, das sich hält, wo es nicht von Menschen vernichtet wird.

Nach dieser Untersuchung können wir die Motive Egoismus, Liebe, Mitgefühl und Freundschaft vielleicht voneinander unterscheiden. Erkennen können wir sie weiterhin weder in den Handlungen noch in den Worten der Menschen. Sie können sich irren, sie können sich verstellen.

Darum wird nicht das Motiv, sondern die Tat bestraft oder gerühmt.

Oft werden Freundschaft oder Solidarität dem ebenfalls sympathisch fühlen machenden Mitleid verwechselt. Freundschaft braucht nicht Leid. Was Freunde verbindet, ist das einander als Person erkennen. Sympathie: dies ist Eine/r wie ich. Je geringer die Vorstellungskraft, um so kleiner und geschlossener der Freundeskreis. Mit Fortschreiten der Sensibilität der Menschheit haben daher Toleranz und Sympathie, wirkliche Solidarität gute Chancen zur Verwirklichung eines goldenen Zeitalters. Aber Vernunft hilft auch dem Egoismus, geschicktere Möglichkeiten der Allein-, dem Familiensinn der Liebe, solche der Clanherrschaft zu finden.

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Die vier Erscheinungsformen des Charakters setzen eines Voraus: Das Fühlen, dass da ein Du ist, das mir irgendwie, insbesondere nach den Formen des Fühlens gleicht. Es gibt allerdings neben einem pathologischen Mangel auch ein weiteres Handeln, dem anzusehen ist, dass ihm dieses Bewusstsein fehlt: die Unbarmherzigkeit von Weltanschauungen. Die im Sandkasten zu Recht gezimmerte Ideologie kennt den Menschen nicht als Subjekt. Er ist ihr Gegenstand der Planung und unterdrückt bei ihren Anhängern alles, was auf eine Berücksichtigung des Subjekt-Charakters eines Du hinführen könnte.

Religion wiederum gesteht sogar der Welt insgesamt oder einer in ihr oder vor ihr wirkenden Kraft Subjekt-Charakter zu. Sie nennt es das Unbekannte, Jahve, Gott. Sie weiß, dass man davon nicht wissen kann und beschränkt sich so auf den Glauben, dass " das Ding an sich" etwas ist, das mir insofern verwandt ist, als es fühlt. Wie ich ihm gleich bin, so ist es gleich auch mir.

Klaus Wachowski 04.05.2008

Tauben-Gurren in Klagenfurt

Das Drama des verehrten Kindes Freien Herzens kann ich heute sagen, daß ich Dichter bin und nicht unsäglicher Reimeschmied. Am leichtesten...