Freitag, 2. Dezember 2011

Weihnachtsmärchen 2010



ich schrieb es für Helge Prase. 

Er veröffentlichte es und - starb am  23.12.2010


Im Himmel tief und fern liegt noch ein Rest Blau und Rot. Schon ist das Glitzern der großen und nahen Sterne zu erkennen. Die Mondsichel strahlt ihr Licht in die Eistropfen an den Zweigen.

Die Bäume erstarren in der Kälte zu Stein, die Steine knacken im Frost. Erbärmlich frieren die Tiere. Die Liebe verkriecht sich in Höhlen und Hütten. Die Nächstenliebe klopft an die Tür: Mach Dein Herz auf!

Die alte Weihnachtsgeschichte mit neuen Flüchtlingen fährt in einem tarnfarbenen Bus vorbei ins Abschiebelager. Fern in den Meeren ersticken die Schreie der Verunglückten. Stille steht über dem Brausen der See, über dem Bullern des Busses. Mövenschreie vom Land, das Sirren von gleitenden Flügeln im Wald. Hoffnungslosigkeit vermischt sich mit Hoffnung. Und Hoffnung schlingt sich um Hoffnung.

Meide das Dorf im Land von Tierfreundschaft und Menschenhass! Sie setzen Wölfe und Bären in den Wäldern aus und Killerwale in Ozeanen. Die drei Weisen aus dem Weihnachtsland geben Aktien aus auf den Stern von Bethlehem. Und ein im Ehrgeiz brennender Haß baut an der Bombe.

Gibt es in den Licht- und Duftlabyrinthen der Weihnachtsmärkte noch Herzen, die nicht vom Haben in die Verhärtung gehetzt werden, gibt es im Marktgeschrei der Heil- und Friedens-Bringer einen barmherzigen Seufzer?

Ja!

Da schickt eine Mutter ihr Kind vor, dem Obdachlosen einen halben Euro abzugeben, dort werfen entzückte Erwachsene Silberstücke in den Kasten eines für seinen Reitunterricht fidelnden Mädchens, ja sogar die Aids-Hilfe bekommt ein paar verschämte Euros.  Und siehst Du nicht die beiden jung verliebt Vergnügten spöttisch auf den Strom hoffnungsvollen Egos lächeln und einander heimlich berühren, öffentlich küssen?

Deine Hoffnung ging darauf zuzugehören. Jetzt bist Du alt. Deine Erinnerungen sinken ins Vergessen ein. Von all dem hast Du nicht viel bekommen. Die Nachbarn gehen immer noch fremd an Dir vorbei. Deinen Freund hat seine irre Familie ermordet. Deine eigene Familie schämt sich für den schwulen Verwandten.

Nein, natürlich hast Du nicht vor, Dich in diesem Wald zu töten und in die tote Ewigkeit zurückzukehren. Du möchtest nur der glitzernden Stille lauschen, wie Ihr es in den seltenen Augenblicken berührter Freundschaft erlebtet. Dafür, dass die Welt Dir das ermöglichte, wirst Du dankbar bleiben, so lange die Erinnerung noch nicht ganz aufgelöst ist.

Und danach wirst Du unter dem spöttischen Lächeln der Christen einen Kinderglühwein bestellen. Der polnische Verkäufer -oder ist es ein Ukrainer?- hält Dein Geld nicht für schlechter als das ihre.

Aus den Gärten blinkt der Protz in LED. Was es wohl in diesem Jahr für Feuerwerke geben wird? Aus dem  Wald klingt ein Schuß. Der Jäger schießt dem Wolf die Beute weg. Oder beendet ein Täter sein Werk?

Du wolltest nur für einen Moment Ewigkeit trinken. Aber vom Glück gepeitscht jagen Welt und Mensch durch deren Fluten.

Ich wollte Dir ein Märchen schreiben. Aber die Weihnachtsbeleuchtung aus den Hoffnungen des Ich zerbrach den Zauber des Wortes. Ich wünsche Dir einen anderen Tag, eine stillere Nacht. Im Zimmer Deines Teppichs.

Sonntag, 20. November 2011

Betrachte dieses Herz



Ich habe die CD "enfants d´hiver" von Jane Birkin gekauft und mußte die Teilnahme am Treffen der Jean-Paul-Gesellschaft absagen. Ich höre tausend Vögel des neuen Frühlings singen und denke an die Blumenwiesen Jean Pauls. Ich höre die Stimme der Jane Birkin. 

Ich kann zu wenig Französisch, um ihre Texte zu verstehen. Aber ich verstehe gut Einsamkeit und Sehnsucht. Und Dir geht es nicht anders.

Lass mich dieses Herz betrachten im Spiegel einer Wiese von Krokus gelb und blau! Lasse es sprechen vom Glück der Berührung und vom Himmelsflug der Gedanken. Lasse es aber auch nachspüren dem Schmerz des Verlusts. 

Dunkle Wiese des Krokus. Ein Regen fällt in die blitzenden Stimmen der Vögel, in die schwarze Erde, in die Sehnsucht der Blüte. Die Wolke reißt auf und ein Sonnenstrahl taucht die Welt in die von Liebe und Lust erfüllte Stimme der Jane Birkin. Du kannst die Lieder der Vögel wieder hören hinter den Liedern der Vögel. Erinnerung! Du hast ausreichend davon.

Da ist ein Hauch aus dem Norden. Es riecht nach Meer. Die Haare werden zerzaust auf dem vollen Schopf eines Kindes. Die Tulpe auf dem Tisch des Cafe´ leuchtet in der Erinnerung einer Freude beim Hereinstürmen der Rasselbande, in der Erinnerung meiner Freude bei Deinem Eintritt in meine Sehnsucht. Ich denke :“Berührung“.

Ein Schnee!- Ach, sagt die Stimme, geh! 
Die Bäume rollen ihre ersten Knospen aus. 
Die Herren und Damen vom up and down kaufen Dessous der neuen Kollektion. 
Rosa Frühling 2009.

Mittwoch, 9. November 2011

9. November 2011



Das Gedenken versickert in den Konvoluten der Geschichtsschreibung. Bald werden auch die
Kinder von Opfern und Tätern verstorben und vergessen sein.

Was wird aus den Schwüren und Beschwörungen?

Aber die Lust an Grausamkeit wird sich den Namen der Bestien borgen. Und sie wird lachen bei
ihren Taten. Oder sie wird eine Komödie der Seriosität spielen.

Was wird aus den Menschen, wenn nicht  das, was war? Für unsere Nachkommen wollen wir doch,
dass das Leben endlich hält, was sein erster Atemzug versprach. Für die Nachkommen aller.

Ich denke an die Opfer. Auf dem Mahnmal stehen ihre Namen. Wo ist die Warnungstafel mit den
Namen der Täter? Die Gleichgültigen gießen über die Erschütterung der Betroffenen eine klebrige Verzeihung aus.

Der Talkshow-Therapeut dringt in Dich: "Verzeihen erlöst". Alice Miller rät Dir, auf solche Backfischerkenntnisse nicht einzugehen: Auch für Jesus gibt es kein Verzeihen ohne vorherige Reue des Täters. Und er fragt zuvor die Opfer.

"Da gibt es doch noch Buddha", meint der Weltsanfte, dem der Schmerz noch nichts getan hat.

Was weiß der Ich, der das Nichts für das Ich will, vom Du? Von der Welt außerhalb des inneren Käfigs? Was weiß der Lotus vom schwarzen Block und vom Grinsen unter dem Stahlhelm und Verlassenheit unter Menschen?

Schwer ist es zu sehen, was die Gleichgültigen nicht sehen wollten.

Das Mißtrauen, der Zweifel am guten Ende kommt zum 9. November. Wie hieß noch das Fest der Hoffnung?

Was braucht es Wiedergeburt, die Wiederholung der Gleichgültigkeit?
Was hilft gegen all dies Verlieren von Hoffnung?

Wohl das Vertrauen in Liebe, Glaube, Hoffnung.
In Leben und neue, -nicht wiederholte-, Geburt.

KW

Sonntag, 11. September 2011

Verputzen



Ich gehe an einem renovierten Fachwerkhaus vorbei. Ein Brocken Verputz fällt ab und zerbröselt. Kleben wir nicht so an unserer Welt, bis wir auf das Pflaster fallen und wieder in den Fließsand zurückkehren?

Ein Mann im braunen Ethnopullover einer vergessenen Periode der 68er geht vor mir. Die rötlich-blonden Haare stehen struppig zusammen in einem platt getretenen Büschel. Sie glänzen in natürlichem Fett. Das Gesicht verschwindet hinter dem sich in einen Bart fortschwingenden Gestrüpp.

Das erinnert mich an den verstorbenen Freund aus alter Zeit namens Fuzzy.

Was wisst Ihr von den phantastischen Perspektiven dieser Zeit der Freundschaft? Wenn Ihr dabei wart: was habt Ihr dagegen eingetauscht?

Fuzzy mit den flinken Äuglein ging noch eine ganze Weile mit langen Haaren durch das Kaff, als wir längst schon nach akzeptablen, etwas frech angepassten, Frisuren suchten. Wer lachte nicht über ihn, den schwatzhaften Trinker, der mit unaufhörlichem Augenzwinkern nach Zustimmung suchte? Wer blickte sich nicht lieber nach Wichtigkeiten der Gemeinschaft um, sich mit höflich gesenkten Augen innerlich zu bücken?

Er wurde vom Trinker zum Säufer, die Frau ließ sich von dem immer hässlicher und abgeschabter werdenden Schwätzer scheiden, der vom Stammtisch immer üblerer Kneipen nicht mehr wegzukriegen war. In einem Nebel von Bildschlagzeilen, anarchistischen Ausbrüchen und Nazismus landete er schließlich unter einer verschmutzten Pritsche von Krankheit, die ihn rasch in einen besoffenen Tod drückte.

Wo waren wir? The brotherhood of man...

Das Problem war: er konnte unseren Höhenflügen nicht folgen. Wir verließen ihn aus Langeweile. Die Sache mit den intellektuellen Weltverbesserern: Die Menschenbrüder mögen sich doch bitte an das hohe Diskussionsniveau anpassen! Sonst erlischt der Elan rasch. Anderen ist das geringe Niveau ganz recht, wenn ihnen im Kampf um die Vorherrschaft in ihren Spielchen der -immer gut gemeinten - Menschenpark-Gestaltung etwas Führerschaft eingeräumt wird. Voll Ekel wendet sich der Rest der höheren Töchter und Söhne der Menschenbruderschaft ab von Politik und der Kulturmeisterschaft zu. Sorry, Fuzzy, über Deine so grob vorgetragene Sehnsucht nach Freiheit und gleichem Recht, über Deine rustikale Erwartung von Solidarität waren wir schon lange hinaus. Uns war peinlich, so direkt an unsere Versprechen erinnert zu werden. Wir wichen Dir aus, sahen Dich peinlich berührt im Sumpf des Alkohol und Nazismus versinken. Die Typen von Sekt und Schnittchen waren uns näher.

Der braune Pullover setzt sich auf die Stahlbank des Verschönerungsvereins. Er lächelt, soweit der Bart einen Schluss darauf zulässt, verträumt in die Herbstsonne. Ob er einen Blick in die Ewigkeit nimmt?

Ein paar verblödete Intellektuelle, die den Übergang von der totalen Stammeskontrolle zur Autonomie der Person nicht verkraftet haben, lenken ein Flugzeug in den Wolkenkratzer. Wenn es einen Gott gibt, krampft sich ihm jetzt das Herz zusammen. Der braune Pullover schüttelt den Kopf. Eine Menschenseele kann so etwas nicht verstehen.

Angeblich kämpfen sie ja einen Kampf aus der Ewigkeit gegen das Böse in der Zeit. Sie sollten einfach nur das erste Gebot der Ewigkeit achten und Gott nicht mit ihren primitiven Stammestabus zur Familienpolitik und Kleiderordnung belästigen. Faulenzer, die beleidigt sind, weil die Welt nicht wie eine rechtlose Mama an ihnen aufsieht. Sind sie so viel anders als die verzogenen masters of war? Sieh die Kriegsbeter vom Bible-Belt, denen Jesus kein Bruder ist, sondern ein König, was anders als ein Imperator?

Eine allzu bekannte Einsamkeit fließt plötzlich in ihn ein. All diese Familien, all diese ins Höhere strebenden verlorenen Hoffnungen. Worüber könnte er mit ihnen reden? Sie betrachten ihn als eine Art Verrückten auf Abruf. Noch ist er in der sanften Phase. Wann wird er wohl mit wutverzerrtem Gesicht auf ihr Wohlsein einspringen?

Zwischen von Moral gesteuerter Gehässigkeit und Swingerlaune heben sich Ebbe und Flut der Fußgängerzone. "Guten Tag, Herr X" (Name der bemerkenswerten Persönlichkeit des öffentlichen Kleinstadtlebens). Nach dem Small-Talk (man kennt einander ganz gut) "Eine ziemlich korrupte Type, dieser X." Hast Du den Kerl im braunen Pullover gesehn? Ja, das waren Zeiten!

Eine Gewitterwolke steigt hinter dem Gourmet-Ensemble auf. Man rückt näher zusammen. Super-Event. Ist ne Top-Location, das. Und was machen wir morgen?

Dann im Bett: Stimmt schon, da war auch einmal Liebe! Der Regen rauscht, das Wasser drückt sich durch die Fenster. Verflucht!-

Was wohl der Typ im braunen Pullover jetzt macht? Eine Wolke reißt auf und taucht die Gärten in Mondlicht. Das ist einer der möglichen Augenblicke, einen Blick in den schwarzen Spiegel Ewigkeit zu tun. Ich kann Dir nicht sagen, was Dich darin erwartet. Vielleicht hat der braune Pullover eine Ahnung davon.

11.09.11


Sonntag, 19. Juni 2011

Traum unter Wolken

Was ist der Traum unter Wolken, die sich gegen das Blau auftürmen, aus dem Grün der Wiese?
Die Sense saust durch den Hundekot. Der städtische Arbeiter flucht und fährt davon. Zögernd kehrt die Stille zurück.
Ein Bündel Sonnenstrahlen huscht über die grünen Ähren und verwandelt die Rinde des Apfelbaums in eine Erscheinung des Wunders Natur. Schatten und Licht der Jahreszeiten liefen daran herab. Der Regen ließ sie erschauern, Hitze und Frost gruben sich in Rissen ein. Heerstrassen von Ameisenvölkern in scharfem Biß.
Worte von Liebe und Wut der Menschen, Seufzen der Lust, des Schmerzes, gesammelt im Weh der Geburt und des Sterbens des Tiere: es wehte vorbei und nichts erinnert daran.
Die Wolke schüttet einen kalten Schatten und einen kalten Schauer in die Sehnsucht. Die Blätter zittern wie die Flügel der Schmetterlinge. Die Erinnerungen bekommen Falten wie Schrumpfköpfe. Es schimmelt und staubt.
Welches Märchen rettet Dich in ein anderes Zimmer des Lebens?
Wer liebt Aschenputtel, wo der Prinz sich nicht an die Diät hält und in der Öffentlichkeit uriniert? Wo Schneewittchen in Evas Apfel beißt? Die Lust erstickt in den Fettmassen der Wellness.
Über Hänsel und Gretel leuchtet ein silberner Mond. Über dem Mann, der seine Frau verlor, ruft eine dunklere Stimme ein "Wann?".
Ein Bild aus der Kindheit taucht auf, voll von Grashalmen, Käfern und leuchtenden Sonnenblumen. Das Licht und vielleicht auch die Schmerzensschreie der Zahnpatienten haben die Farben des Kitschmalers in ein wehmütiges Blau getaucht. Was träumt das Kind mitten in seiner Angst?
Der Horizont verspricht eine tröstende Aufnahme an einer Tafel des Friedens. Ein blauer Nebel aus Hoffnung und Angst beschränkt die Sicht. Du bist allein unter Fremden dem Ruf aus der Welt der Unbarmherzigkeit nach "dem Nächsten, bitte" ausgeliefert. "Nicht sclimm", sagen die Ängstlichen auf den knarrenden Stühlen mit schiefem Mund. "Hoffnung", ruft es bettelnd aus den Halmen.
Wie sind die Träume unter Wolken gegen das Blau aus dem Grün einer Wiese? Sehnsucht mit einem Rand von zart aufgetragener Erwartung an Freude, die in den Blättern zittert.
19.06.2011             Klaus Wachowski

Dienstag, 14. Juni 2011

Uhr


 -Fallt, Regentropfen, in meine Regenwelt! –

E möchte einmal aus einem schönen Garten in die Ewigkeit. Bauer H lädt einen Anhänger voll Mutterboden ab. Sie hatte nie Kinder und entscheidet sich nun für ein Märchen.

K steigt aus der Überlastung aus in eine Depression. Der Friede des heiligen Psycho nimmt die Angst zu versagen von ihr.

Laß mich gehen!-

Aber Du hast dieses Grab vergessen. Auch die Katze Streichelmich wartet. Und die Kirschen sind auch noch nicht schwarz. Sieh, Deine Rosen, wie prachtvoll! –

Wer soll Deine Erinnerungen hüten? Die guten davon! – Und willst Du nicht selbst Deine Lebens- und Putzmittel im Supermarkt auswählen? Mit viel Zeit?

       Aber irgendwann muß ich doch sterben! –
       Es ist Deine Entscheidung. –

Mir aber wäre lieb, wenn Du nicht aus dem Nichts in ein Ungewiß springst, sondern von einer Welt Abschied nähmst, die Du als einen Garten geliebt hast. –

13.06.2011 Klaus Wachowski

Sonntag, 12. Juni 2011

Staubkorn

*


Wie leer sind doch die Begriffe "Ewigkeit", "Staubkorn", "Liebe", "Tod". Wie schwer wiegt die Anschauung, wenn es Dich trifft.


Die Vögel singen unter einem tieferen Himmel.
Die Täter erscheinen unwirklicher.
Der Mensch wird Nachbar.
Freundschaft findet ihren Grund,
Liebe ihr Glück und den damit aufgewogenen Schmerz.


Wie viel Schmerz, wie viel Glück doch in ein Staubkorn geht.


Genug von Schatten!- Noch tanzen wir im Sonnenstrahl.


Und dann!?-
In Schatten und Licht.


12.06.11
Klaus Wachowski

Dienstag, 24. Mai 2011

Vögel in verklingendem Tag


Vögel in verklingendem Tag
Als riefen sie entlang der Felsenküste,
als flöge ein Schatten in ein erleuchtetes Herz,
als regnete es in einen Pfauengarten Jauchzen von Kindern,
So sehe ich das Abendlicht im Laub der Bäume ,
so höre ich der Amseln Liebesruf,
so klingt in mir ein verklingender Tag.
Klaus Wachowski  24.05.11

Sonntag, 17. April 2011

Raum Lächeln

Auch Lächeln ist ein Raum.
Auch der Nachttopf ist Issa.

Es entsteht in dem Augenblick, in dem das Kind sich von der Brust löst. Gestärkt von der Liebe tritt der freie Erdenbürger in das Licht und lächelt. Es öffnet sich eine Welt namens Vertrauen. Es kommt von Berührung, , es berührt. Und Ihr blüht auf. Gleichzeitig, als wärt Ihr durch eine Wurzel verbunden.

Es hat etwas Impressionistisches. Es färbt im Sommer Wiese und Lichtung. Es füllt den Winter mit dem Versprechen eines Kerzenlichts. Und am Grab gibt es den Trost einer Umarmung.

Deshalb ist selbst das höfliche Lächeln das Offenhalten einer Tür in einen Raum. Er heißt Gemeinschaft. Und unter Freien: Gleichheit.

Ein Lächeln biegt um die Ecke und entzündet in Dir ein Lächeln. Und Erinnerung an Liebe und Freundschaft.

30.3.2011        Klaus Wachowski

Sonntag, 13. März 2011

Trauring

Trauring
Ich fühle mich so Trauring, sagt das Herz. Der Verstand meint dagegen, es handle sich lediglich um den Beginn einer Erkältung.
Ein Schwarm von Tauben fliegt die Runden des vergangenen Herbstes nach. Unter sich Gärten voller Körner, Häuser im Mittagsschlaf von Senioren und zwei Wahlplakate gelb und rot.
Nimm etwas Grün unter Deine Schuhe, wenn Du jetzt gehst. Noch sind die Wege von Schlammpfützen bedeckt.  
Hier schauen Passanten noch misstrauisch auf den einsamen Spaziergänger. Aber schon hast Du das weite Feld erreicht, wo nur der Bussard und der Wind ihre hässlichen Stimmen hören lassen.
Einige Hundefreunde lassen ihren Menschenhass von der Leine. Aber eine Hasenfamilie lenkt sie ab.
Jetzt bist Du allein mit der Welt. Es ist nicht gewaltig: eine graue Schmiere über dem Himmel, deren Ton sich in alle Farben mischt, der Schlamm zu Deinen Füßen, eine Luft ohne Duft.
Lass die Zeit vergehn. Das Wort Gestern weht vorbei als ein Zigarettenrauch. Was war? Es ist wie ein Gefühl von Ukraine im Herbst. Aber ohne Menschen.
Es ist Frühling, aber noch nicht Frühling. Christ und Atheist warten auf Ostern. Die Sonne, die mit dem Tod der Nächstenliebe kommt. Goethe macht seinen Osterspaziergang des bürgerlichen Optimismus. Die Jugend wälzt sich in gestörter Lust, das Alter trägt in Räumen des Schweigens lästige Erinnerungen vor.
Aber da war ein Erdbeben in Japan. Wirkliche Tote, wirklicher Schmerz. Der kurdische Flüchtling spricht davon und der Aktionär von der zufälligen Staatsangehörigkeit. Auch Dir erscheint Deine weltenweite Langeweile doch etwas dick aufgetragen angesichts des wirklichen Schmerzes, der gern mit liebessatter Langeweile tauschen würde.
Ich höre die Stimmen der wirklichen Menschen in wirklichem Gespräch. Ich spüre Dankbarkeit. Ich kann wieder an die Sonne glauben, an die Auferstehung der Nächstenliebe.
*
Ich stelle den Tisch auf die Terrasse. Du räumst die Scherben der Fenster weg. Du aber verblutest im Wüstensand.
Die Sonne scheint Frühling über Deutschland, Japan, Libyen. Und die Vögel singen aus voller Kehle Liebe.
Ich stecke die Zweige des Apfelbaums in eine Vase. Du blickst in einen Himmel voll Rauch und kreischender Erde. Du spürst heiße Tränen auf Deinem Gesicht.
Die Blumen färben die Erde ein. Gras zieht sich grün in die langen Schatten. Erste Bienen sammeln ersten Nektar.
Die Ewigkeit spiegelt sich im Augenblick. Diese Woche will sie sich Strähnen legen lassen.
Berühre und lasse berühren: Was wären all die Glück und Grauen ohne ein Du?
13.03.11                 Klaus Wachowski

Mittwoch, 2. März 2011

Libysche Liebe

Der meteorologische Frühling öffnet die Tür. Draußen steht die arabische Freiheit. Ob er ihr Kopftuch gebrauchen könne? Sie werfen Sand in den Hochzeitsreis.
 
Sie gehen unter den blauen Himmel voll Duft und Vogelklang. Sie gehen in Krokus und Tulpen und trinken Luft.

 
Sieh, wie die Wolke so weiß sich schmückt mit rosigem Rand, sieh die mit Liebe geschminkten Lippen der Freiheit. 

 
Auch Freundschaft bricht auf in den Straßen der Hoffnung. Im Frühlingswind flattern die Drohungen der Herrschaft davon. Es ist ein geschenktes Wunder.

 
Wie willst Du Deine Republik verfassen, mein Bruder, meine Schwester vom Sonnenaufgang.

 
Die ersten Bienen summen im Stimmengewirr des Morgens. Der Tag legt seine schwere Hand auf Deine Schulter. Aber der Frühling streut Blüten. Der Nachbar kommt heraus, auf die Straße der Freiheit. Zwischen Euch geht das Vertrauen.   

 
Dies ist das Wunder Freiheit im Wunder Frühling. 

 
Schwalben auf den Stromleitungen. Sie fliegen hoch in meinen Erwartungen. Ihr heller Schrei ist wie ein Blitz aus der Sonne.

 
Ich lege eine Rose auf das Grab des Tapferen. Ich lege einen Lorbeer auf das Grab des Ängstlichen. Am Grab der Wehrlosen weine ich.

 
Wenn der Abend kommt, bedenken wir Gestern und Morgen. Und wenn Du zu Deiner Liebe gehst, weißt Du: an der Tür wacht die Freiheit.

01.03.11 Klaus Wachowski

Donnerstag, 17. Februar 2011

Helge Prase



Gott geht durch Karlsruhe. Er sucht den Gerechten Helge Prase, der nicht an ihn glaubte. Wieder Einer an den Tod verloren.

Die Sonne leuchtet den Frühling ein und die Vögel singen von der Leichtigkeit des Seins. Die Straßenbahn quietscht von neuer Lebens- und Einkaufslust.

Die Verlorenheit der obdachlosen Brüder ist nun wieder größer, sie selbst sind wieder zu Bettlern geworden. Nicht dass sie große Hoffnung in uns gesetzt hätten. Am Rand der Gesellschaft zeigt sich, wie dünn der Firnis der Achtung ist. Hier gewinnt der Begriff "Wertschätzung" an Heuchelei, hier scheitern Sprüche an Erfahrung.

Ich erinnere mich an seine leise Stimme, sein schütteres Haar über manchmal gelblichem Grind an die rötliche Haut. Ich erinnere mich an seine Menschenfreundlichkeit und an seinen Glauben an die Macht der Solidarität.

Die Eltern hatten ihn in ein Waldorf-Internat gesteckt. Er hatte in der Landwirtschaft gelernt und gearbeitet. Auch ein Examen als Altenpfleger habe er abgelegt. All das war nichts von dem, was ihn bewegte.

Er wollte die Erde auch für die ziellosen Wanderer einer abhanden gekommenen Republik machen: "Auch Du gehörst dazu." In der Schillerstraße 11 stellte er die redaktionellen Beiträge für die Karlsruher Straßenzeitung zusammen, gab die Exemplare an die Schicksalsgenossen zum Verkauf aus und rechnete mit ihnen ab.

Hier war Frieden, hier gab es Rat und Hilfe. Vor allem aber Aufmerksamkeit für Aufgegebene, die sonst mit bedrückendem Mitleid, mit Pharisäern und Regulatoren vorlieb nehmen müssen. Die Prügel des Vaters, die Hysterie der Mutter, die Interesselosigkeit dieser seltsam nach Glück strebenden Großen, die den Kleinen da umrennen, um die Ersten am Wühltisch zu sein. Diese Gottesdiener, deren Begeisterung von Gott Du teilen mußt, wenn Du gerne etwas von ihrem Tisch hättest, Vernünftige, deren Begeisterung für  weiß gestrichene Rauhfaser Dir ins Ohr geblasen wird, während sie Dir etwas in den Hut werfen.- Wer geht einfach ein Stück Gespräch mit Dir?

Zwei mal habe ich in den letzten Jahren mit ihnen Kaffee getrunken. Was war dort anders als hier? Die Hoffnung auf persönliches Glück ist nicht kleiner und das Vertrauen auf den Nächsten nicht größer als in der Mitte der sich als etwas Besseres fühlenden Gesellschaft. Du findest die miesen Sprüche der Sarrazin-Tische neben den besoffenen Hoffnungen der narzißtischen Projektemacher und dem halt einfach Weiterleben der Depression.

Da war Messie - alte Bücher bis unter die Decke-. Da war linke Hoffnung aus der Zeit der 68er und Wut aus Hartz lV. Da war unverhüllter Ausländer-Haß bei manchen Gästen, gegen den seine menschenfreundliche Haltung nichts aufzubieten wusste als eine beschwichtigende Geste.

Ich begleitete ihn in die Stadt. Es wäre doch einmal gut zu erfahren, was ein obdachloser Redakteur so auf dem Sozialamt hört!

Nun: "Er solle doch mal eine Alkohol-Kur machen."
"Warum? Ei, das sehe man ihm doch an!"

Und was meint der Verachtete zum  kulturellen Ereignis der letzten Ausstellung im ZKM? Hier schweigt der einst mit Eurythmie aus der Kultur Vertriebene. In seiner, ihrer, Zeitung haben Gedichte und Bilder ihren Ursprung in einer persönlich gefühlten Empörung, in einer wilden Hoffnung, die mit dem Rücken zur Enttäuschung steht. Der Abstand des Frustrierten zum Gelangweilten ist zu groß, wiewohl der Eine nur den Kopf drehen müßte, um in die Seele des Anderen zu sehen.

Ja, Solidarität: nicht mit dem Lumpenproletariat meinte wohl die Linke, die keinen gesteigerten Wert auf seine Kandidatur legte. So kommt ein Obdachloser zu den freien Wählern.

Wir gehen in eine Bäckerei mit Café- Tischen, wo junge Verkäuferinnen lächelnd und mit spitzen Fingern ein Brötchen in die Hand geben. Die schlimmste Zeit sei ja nicht der Winter. Da hätten die Leute schon Mitleid. Im Frühling, da hätten die Kunden in den Einkaufspassagen zu viel zu tun, um auf die Zeitungen anbietenden verlotterten Figuren an den Eingängen zu achten.

Was ist Leben? Schwer ist es ohne Liebe. Wer legt Wert auf Deine? Sie ist nur noch ein Wort in Weihnachts- Geschichten. Du aber wanderst in der Wüste Leben, sie zu finden.

Fußgängerzone: Da wo die Gleichgültigkeit ist, da gehts die Borderline entlang. In Morast von Mitleid und Verachtung versuchst Du, nicht auszurutschen. Wo die Liebe schwand, hilft Freundschaft unter Verlorenen. Lass uns gemeinsam einsam sein. Helge nimmt Dich mit in die Schillerstraße.

Er ist weg.

Gott sucht vergebens nach einem Exemplar Straßenzeitung. Ich sehe wie sich das Vertrauen des Bürgers in den Bürger auflöst. Das Ich der Welt zieht sich in eine Familie zurück oder geht wie der japanische Dichter Basho im Leben schon leblos durch fremde Welten.

Aber ich bleibe Optimist und glaube an die Macht der Solidarität, die Eure deutschen Depressionen in ägyptische Hoffnungen umgießen wird. Mit Helge.

16.02.11 Klaus Wachowski

Tauben-Gurren in Klagenfurt

Das Drama des verehrten Kindes Freien Herzens kann ich heute sagen, daß ich Dichter bin und nicht unsäglicher Reimeschmied. Am leichtesten...