Mittwoch, 24. November 2010

Totensonntag

Es gibt eine Zeit, in der die Dichter nicht mehr Resonanzboden der Welt sein möchten. Lew verläßt seine Familie, Virginia geht zur Ouse, Silvia zum Gasherd, Robert klopft am Tor zur  Psychiatrie an. Sie nahmen sich frei.

Wie leer wäre die Ewigkeit ohne meine Toten. Ich spreche mit ihnen. Richard zum Beispiel.
Wir reden über dieses Erzählkaffee im ehemaligen KZ Osthofen, in dem der Zeitzeuge K. S. von der Angst der städtischen Arbeiterfamilien vor den Nazis erzählte. In jeder Straße ein Blockwart, Denunzianten, Nazis. Dem Matzenbäcker jagen Nazis eine Katze in den Ofen. In ihrem Schmerz schafft sie es über den Kamin bis aufs Dach und fällt verbrannt und nackt auf die Straße, wo sie verendet.

Die bekannte Mischung aus Gefühlen des Mitleids und der Abscheu lähmen die Handlungsfähigkeit. Das Gespräch nimmt den Weg in die Stärkung der Gemeinschaft. Richard gibt einfachen Mut.

Er zeigt auf den Leuchter der Religion, er spricht von den schwarzen Löchern in der Philosophie nach Auschwitz, er gibt großzügig Freundschaft aus. Er streichelt die Katze Weisheit.

Was die Lumpen vernichtet haben, ist weder Liebe noch Freundschaft noch Vertrauen und Hoffnung. Sie überlebten, werden immer überleben, so lange Menschliches überlebt. Aber ich verstehe, wenn Amery  sagt, es sei nach Auschwitz nicht mehr möglich, Gedichte zu schreiben. Selbst der Glaube an die eigentlich gute, menschliche also göttliche Natur des Menschen hat die Herrschaft des Bösen überstanden.

Aber es starben Freude und Fröhlichkeit. Ernst und eine gnadenlose Moral beherrschen nun die Gedanken. Wo sind die Kinder, die Menschen? Schwaden des Todes ziehen zwischen uns. Es ist schwer: das Unbeschwerte, was uns dichten und singen lässt.

Es gibt Liebe und Lust. Kinder kommen in die Welt. Und mit ihnen die Fröhlichkeit. Die Ewigkeit breitet ihre Arme aus. In der Ausstellung " jüdisches Leben " in Speyer sah ich etwas anderes als "nur" das Morden: Das, was wir verloren haben an Nachbarschaft und Normalität, an Freude.

In diesen neuen Zeiträumen scheint neues Leben von neuer, eigener Fröhlichkeit auf. Die Nachtigall in den Hecken von Auschwitz singt auch aus dem Herzen einer Freude, die Wahrheit fordernd sich in den Schmerz der Erinnerung einhakt und listig fragt: ja, weißt Du denn nicht mehr?

Ich glaube, sie hat einen Segen für all diese -neu- Geborenen.

Hallo Lew, hallo Virginia. Ich weiß: Ihr habt Euch nach so viel Fühlen einmal frei genommen für ein Zimmer Alleinsein. Aber selbstverständlich wäret ihr bei Gelegenheit zurück gekehrt in die Länder, die auf Eure Lieder und Lust warten.

Richard holt das Kazoo raus.

21.11.10 Klaus Wachowski

Montag, 20. September 2010

Der Lichtblick


Aus dem ewigen Regen des herbstlichen Galizien treten wir ein in das Gymnasium Brody. Hier hat also Joseph Roth sein Abi gemacht. Die Schule sah sich aufgrund seines Ruhms gezwungen, einen Raum als Museum zur Verfügung zu stellen. Die Schüler lernen hier inzwischen sogar Philosophie statt stramm gezogenen Marxismus.
Na ja, ganz schön. Das Gebäude ist so etwa 1900. Das Innere erinnert an das des Altbaus meines Gymmies etwa 1970. Was berührt so angenehm an Erinnerung? Es war doch wahrhaft nicht schön außerhalb der Clique: autoritäres Regeln, Drohen mit Noten und Verweisen bei jeder freien Regung. Elitäres Bildungsgehabe von saturierten Langweilern, außerhalb ihres  Besserwissens bore-dumm. Coach-potatoes und gestresste Diven des Kurbetriebs Kultur. Wir aber wollten wissen und - leben.
Auch auf ukrainisch läßt sich von oben heftig zischen, wie eine Mitreisende erzählt: Vorhin hat eine -jetzt lächelnde- Dame einen der brav und blau angezügelten Schüler zusammengestaucht.
Die Wände in dezenten Tönen des ruhmreichen Habsburg, Polen, Rumänien, der ruhmreichen  Sovjetzeit oder der noch nicht ganz so ruhmreichen Revolution gehalten, strahlen vornehme Pflegeleichtheit aus. Die Klingel schellt: die alte Schulklingel von der Volksschule Edenkoben, vom ollen Leipniz Neustadt, vom Pilsuzki-Mickiewitzki Wroclaw, Kaiser-Schmonzesmaturat Wien, Komsomolski-Technograd Moskau oder Aureliano-Maximus Bucuresti. Immer Erlösung vom Zwang und Drohung zu neuem Zwang. Die Starken und die Cliquen ergriffen die Macht im S hulhof, wir verzogen uns davor in eine arrogante Geste. Hier ist es nicht anders, nur dass noch ein paar Tutoren und Denunzianten machtlos herumstehen. Es soll wohl irgendwie edel und gentleman-like diszipliniert aussehen. Inzwischen denke ich: auch egal. Ob das Ego auf diese oder jene Weise Ernsthaftigkeit und Verantwortung spielt. So lange das andere Ego nicht auf den Trick hereinfällt.-
Wie stolz waren wir, dass es ihnen nicht gelungen war, unser Denken breit zu klopfen. Und nun stehe ich hier als Teilnehmer einer Bildungsreise...
Was ist Glück ?
Zuerst ist wohl das Staunen. Aber es muß noch warten: steif von Bildungsbereitschaft betrachten wir die Bilderreihe an der Wand: Brody einst und jetzt. Altes Rathaus, renoviertes Rathaus; alte Schule, neue Schule usw. Auf einer polnischen Ansichtskarte von ca. 1900 lese ich "herzliche Grüße von Irene Hirsch" (lieber keine herzlichen Briefe von Steinbach bekommen!). In Deutsch-Sütterlin. Ob sie mit dem Wohltäter Baron Hirsch verwandt war, der die Handelsschule gestiftet hatte? Ob sie in diesem Fall den Nazis entkommen konnte?
Was ist Brody jetzt gegen Brody einst? An der gegenüber liegenden Wand hängen von Schülern gemalte Bilder. Ein düsterer Jesus und ein wunderbar kitschiges Bugs Bunny.
Zuerst ist wohl das Staunen. Hinter unserem Rücken steigen Sektperlen von unterdrücktem Lachen auf. Aufgeregtes Flüstern von Mädchen und Jungen.
Als wir uns umdrehen, blicken wir in zwanzig aufgeregte und vor Schreck und Schüchternheit stumme Gesichter von Schülerinnen und Schülern. Auch wir wissen aus der Verlegenheit des Fremden nicht, was wir sagen sollen. Ein erstarrender Raum zwischen uns gebiert ein riesiges Fragezeichnen. Das Staunen und die Neugier werden stärker als die Gleichgültigkeit des Besserwissens und das Mißtrauen des Mißanthropen, zu dem das Zeitalter des Narziß den westlichen Supermarktsbewohner gemacht hat. Und in diese Seelen hier ist noch nicht die bittere Enttäuschung von Aussortierten eingeflossen.
Kurzum: das Wunder geschieht:
"Do you speak English?"
Die Herzen gehen auf und hundert goldene Fragen taumeln zwischen alten Wessies und den Kindern der Hoffnung.
Was machst Du? Wie lebst Du? In welcher Sprache sprecht Ihr?
Ach, es kommt ja gar nicht auf Antworten und Wissen an, sondern allein auf das Antworten und Fragen.- Aufmerksamkeit, wie unscheinbar erscheint das Wort im Alltag. Man fordert sie von uns. Aber wann haben wir sie zuletzt erfahren? Was Antworten!?- Wir wollen uns unsere durchsichtigen Phantasien doch gar nicht durch die grauen Vögel des Wissens und der Erfahrung zerstören lassen! Wir finden uns wieder in einem Taumel des unnützen, nur Sympathie, Fröhlichkeit und Freude blitzenden Gesprächs. Geht so der Anfang von Hoffnung? Auf Mensch und Welt.-
Du kannst es glauben: der so düster gemalte Jesus reißt die Wolken auf, schnippst mit den Fingern und Bugs Bunny springt mitten in unser Vertrauen.
Die Klingel schrillt: schnell, schnell zurück in die Klasse. Heute Nachmittag träumen glühende Seelen von San Francisco, Europa, Freiheit und Glück bei Freunden.
Husch, husch zurück in den Bus aus der Bildungsrepublik. Unter den schweren Wolken der Ernsthaftigkeit füllen sich unsere von Erfahrung steifen Herzen mit Lächeln. Der Mensch ist möglich.
Sie sagen Euch, was Ihr wissen und was Ihr vergessen sollt. Ich wünsche Dir: Sei und werde!

Zu Hause empfängt mich ein Fest mit einem flotten Song, der "never ends in Southern California". Es klingt schon lang nicht mehr besser als das „Alzer Lied", dargebracht von Weinmajestäten. Eine Erinnerung von Aufmerksamkeit in einer ukrainischen Schule schützt vor Verbitterung. Denn ein Teppich aus dem Land Ruanda, von Grauen geprägt wie das unsere, sagt unser liebstes Wort mit der Sehnsucht der Rose Ausländer: „Du“, das Zauberwort gegen Weltbilder. Ihr aufgeregten chassidischen Lichter der Freude: Sie war ganz nahe bei Euch geboren.

Klaus Wachowski         18.09.10

Mittwoch, 11. August 2010

Pythagoras, anschauliche Demonstration

ie Mathematik ist von Abstraktionen besetzt. Anschaulichkeit erleichtert richtiges Urteilen. Mit der folgenden Lösung werden drei Sätze demonstriert: (a+b)² = a² + 2 x a x b +b²; über Parallelverschiebung : c² = a² + b² und  darin: a² = p x c; b² = q x c.

Jetzt auch in YouTube 

Wer demonstriert aus dem Würfel  (a + b)³ den Pythagoras durch Einbeschreiben des Würfels c³ ?

Sonntag, 4. Juli 2010

Der Medizinmann

Der Medizinmann ist kein Heiler. Er braucht keine magischen Mystifikationen, wenn er Dich in Dein inneres Universum begleitet. Er braucht keinen Kirmesüberbau von Geheimnis, wenn er Dir das Wunder Welt zeigt. Er braucht Deinen offenen kritischen Verstand und Dein Vertrauen in den Menschen, in den Gott sein Wort gelegt hat.

Es ist Nacht und Vollmond

Der Wetterfrosch wartet unter dem goldenen Ball vergebens auf die Prinzessin. Nur noch die Schatten der Verbrecher und die Angst der Bürger sind unterwegs.

Orlando schlägt die Decke der menschlichen Vielfalt zurück. Er zieht sein lila Kleid über und öffnet das Fenster. Er steigt hinauf in den dunkelblauen Sommerhimmel. Die Last des richtigen Lebens fällt von ihm ab. Graue Schuppen. Er setzt sich auf einen Stein vor dem Eingang zum Mond.

Es ist still von Frieden. Er sieht die helle Scheibe, spürt den Stoff des Kleides leicht auf der Haut. Er lehnt sich zurück und hört das Versinken der Geräusche in die Stille.

Die Welt wird weit und senkt sich in seine Seele. Eine Träne fällt in ihre Unendlichkeit, verbrennt die zitternden Erinnerungen.

Jetzt legt er seine Seele ab. Es ist, als sei da ein Segen um ihn. Er steht auf, legt sein Kleid in den Mond, sinkt ein in die Nacht.

Der Mond ist hinter einer Wolke verschwunden. Orlando geht zum Bett zurück und nimmt die Decke der menschlichen Vielfalt. Er berührt die Haut seines treuen, verwunderten Körpers.

Draußen quakt ein Frosch nach einer Prinzessin oder einem Ball. Oder ist es das Gurren der Urmutter nach ihrer Kröte?

Klaus Wachowski  01.07.10

Mittwoch, 19. Mai 2010

Schrumpeliger Luftballon

Schrumpeliger Luftballon.

Es kreist im Labyrinth der Beckenboden. Hilft Liebe gegen Sex? Nach ihrer Befreiung aus Kuß und Kissen schützt sich die Urmutter mit den phantastischen Konfrustrationen des Archaischen. 

Ist aber nicht Sex gut für scheinheilig? Mit Esoterik, Ideologie besteigst Du die Masse. Und Macht macht einsam. Wie windet sich die Einsamkeit nach Sex, oh zartes Zölibat! Und Sex macht lustig, will Frustration in Ego löschender Liebe.
Aus Mägen dünstet es Gemüt. Ganzkörperschüler Hebel sagt ein Merke. Der knetet Wellness, Witz und Braves satt vor Saturierten, Handkäsfraktion der Literaturschmecker: Da kann Schmalhans nicht Küchenmeister sein noch Schuldiener. Wer aber unter gut Gelaunten träumt noch Sehnsucht, Liebe, Herz und Schatten? 

Kannitverstan. Hier gibt es süße Babies samt und sonders, rote Sandy bei erotischem Date. 

Die Droste aber schabt vom guten Wort das letzte Mitleid, polstert den Sarg eines Berichts mit feiner Aversion zum Schatzkästlein des Antisemitismus auf. Brich deutsch, Stammtisch. Ja da gibt’s fettes Mittelalter. Morgen sind wir tot. Prost Hausfreund, jetzt mal lustig!

Ja Schnecken, sind die Konzertkatzen denn ermäßigt? Männer, die immer nur das Eine, Frauen, die immer nur das Andere wollen! Merke: Romantik macht ja schlank. 

Und 20% auf alles außer Darmoberbekleidung. Aber der Sozialismus wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut. Und überdies endete er stets in Suizidaldemokratie. 

Sehnsucht heult aus eingeklemmten Lüsten. Ja, nochn Schluck! Der Schloßherr grüßt feudal aus der Ruine. 

Und Wort und Weh muß draußen bleiben, wenn Schnarcher sich die Augen reiben.
Dichter schnappt nach Preisen.

Grüß Gott, wir sehn uns.-


Ein Bißchen Erklärung:

Natürlich ist Gemütlichkeit nicht weniger wert oder unwert als Ungemütlichkeit. Aber das Gemüt, das einem Krüppel einen Almosen gibt, um dann interessierte Geschichten mit Merke zu spinnen, als sei kein Hauch von Weh ins Herz gesickert. Da werd ich Schuhmann gegen Wagner: ungemütlich.

Und erst die Droste, die sich aus der Angst des Adels vor dem Bürger in die gute alte Zeit einspinnt. Warum nicht, wenn man den Terror der Revolution kennt? Aber man sehe die Erzählung des Oheims aus der Zeit der offenen und mitfühlenden Welt und dann die Ausbeinung des Gefühls und die Ausschmückung mit der Blume Gehässigkeit aus der Insolvenz. Was will da das Wunder Leben?
Ich ergreife seine Partei.
18.05.10 Klaus Wachowski

Samstag, 24. April 2010

Plötzlich Ouse

 *

Plötzlich gießt die ouse ihre Wasser in mich hinein.

Ich muß alle Kunst der Coolnes aufbieten, die Tränen unsichtbar zu lassen. Alle Sonnen leuchten, alle Vögel singen, alle Freundlichkeit winkt mir zu.

Kann man sich einsam fühlen, ohne es zu sein?

Es drückt wie Tränen. Wo ist der Sinn?

Das Herz liegt am Ufer des Rio de la Plata. Eine Vogelspinne hat es umklammert und trinkt von ihm. Das Gras schneidet in die Haut der Füße. Die Fluten tragen die Welt vorbei. Aale und Piranjas hausen in und unter Deinen Gedanken. Das Leben lacht Tränen zu Füßen Deines Elfenbeinturms.

Die Luft ist erfüllt von Rosenduft, das Bauwerk Ich stürzt ein in Geschichte. Leicht geht mein Fuß die Treppe zum Himmel hinauf und schwarz lacht meine Haut der Sonne.

Ich öffne die Tür zum Paradies.

Da fließt alle Hoffnung vor meinen Augen. Der Rio de la Plata trägt die Welt davon. Die Ouse spült die Tränen vor die Mauern. Geh noch ein paar Treppen höher, sonst verschlingt uns der Tsunami Einsamkeit.

Samstag, 27. März 2010

Lob

Eine neue Form verachtenden Umgangs mit Kolleg*innen wurde eingeführt. Die SPD verriet die Solidarität aus der Arbeit an die irre Betriebswirtschaft. 

"Lob",

sagt er,
er meint:
Leistungsorientierte Bezahlung.
"Menschenverachtende Wertung",
sage ich
dem Verräter des Werts.

Klaus Wachowski 27.3.2010

Sonntag, 28. Februar 2010

Zum Phänomen PG, Lehrer, Autor und Theatermacher

"Als Folge seiner Enttarnung wurde der 63 Jahre alte rumäniendeutsche Schriftsteller Peter Grosz von der Leitung der Oppenheimer Theater-Festspiele entbunden. Grosz hatte die „Aktionsgruppe Banat“ ausspioniert, die von Herta Müllers Ex-Mann Richard Wagner mitbegründet wurde.01.03.2010Der andre kann gar nichts dafür"

Zum Phänomen PG, Lehrer, Autor und Theatermacher

Für ihn heißt die nächste Tür, ohne die er nicht mehr aus dem Gefängnis Schuld kann, Reue. Vielleicht erheben sich dahinter nicht seine Taten, sondern Barmherzigkeit der Opfer.

Mich bewegt schon lange -auch mein Vater hat verschwiegen- daneben die Frage:

Was ist Verrat ?

Wenn Ich und Du zusammenkommen sollen, darf kein stiller Vorbehalt sein. Freundschaft lebt von Offenheit und Achtung.

Der Spitzel spiegelt Achtung und Vertrauen vor. Das Ich öffnet auch seine verletzlichen Seiten im Glauben an den Menschen, an die Möglichkeit von Freundschaft. Und wenn der verlogene Freund den frei geborenen und von Sklaverei bedrohten der Herrschaft ausliefert, begeht er eben das Verbrechen der Mitarbeit im Verbrechen Verfolgung.

Und er infiziert das Vertrauen unter den Menschen -allen Menschen- mit Mißtrauen. Was in der Sphäre der Physis die Gewaltherrschaft des Terrors erreicht, schafft in der der Psyche die Auslöschung durch Heimlichkeit, Heuchelei und List: die Vernichtung des Vertrauens, das die Vorraussetzung einer freien, gleichen und brüderlichen Gesellschaft ist.

Weiter als bei dem Verräter im Privaten wirkt sich Täuschung und Enttäuschung durch den Priester des Wortes aus, durch den Literaten, dem die Leser den Vorschuß besonderer -auch moralischer- Vertrauenswürdigkeit geben. Wie der Mißbrauch durch einen Priester Gottes den Glauben stärker erschüttert als der durch einen Profanen, so zerstört die Lüge durch den -ob zu Recht oder Unrecht- an die Macht der Kommunikationsmittel gekommenen Literaten das Vertrauen in das gesamte System gegenseitiger Verbundenheit in der geistigen Republik, ohne die die physische nicht eine Stunde überlebt.

Das ist neben der ursprünglichen Schuld das schmerzhafte an der öffentlichen Erfahrung von Lüge und verlogenem Verschweigen in Fällen wie Arno Schmidt, Günter Grass und Peter Grosz. Hinzu kommt der tief verletzende Verrat an den in der Zeit der Tarnung erworbenen Freunden.

Ich und wohl eine große Zahl unverbildet an Literatur heran gehender Leser, wir gehen davon aus, dass vor dem Auftritt in der Öffentlichkeit persönliche Schuld in öffentlichen Dingen bereut wurde und das öffentlich.

Denn um den Wert eines öffentlichen Worts für mich auszumachen, muß ich darauf vertrauen können, dass hinter ihm eine des Vertrauens würdige Haltung gegen das Leben steht: Verantwortlichkeit. Ich lese Handke wegen Srebrenitza nicht. Nicht jedes ehrliche Eintreten ist auch ethisch. Was könnte ich von ihm haben?

Aber die Täuscher Schmidt und Grass, die auch mir mit der Miene der Ehrlichkeit und der Geste der Freiheit entgegentraten, haben mich persönlich zu einer Zustimmung benutzt, die ich bei Wissen um den nicht abgeschlossenen menschlichen Punkt nie gegeben hätte. Sie haben mir Werke verkauft, mit denen ich mich nie beschäftigt hätte. Ich hätte anderen Worten und Gedanken meine Aufmerksamkeit und Kritik geschenkt, solchen, die das verdient hätten.

Das Schlimmste: Welchem Literaten kann ich vertrauen? Fliegt dieses Wort aus einer Person oder wurde es aus einer Tube Talent gequetscht?


Und nun höre man den Bauch:

Warmherziges gegen das Recht auf Recht. Karges Wort und aufmunterndes Johlen. Das Herz zischt "Ruhe".  Es trägt Mensch. Über den Wolken muß der Verstand wohl ausdehnungslos sein. 

Schau, die Jugend, wie sie im schweigenden Täter den Märtyrer erkennt! Die Liebe überwindet sogar die Einrede der Ethik. Sie möchte aus tiefer Dankbarkeit hassen. Was hätten sie von Herta Müller oder Oskar Pastior? Ja, sie verzeihen auch den Opfern und die Alternative zum Recht ist wieder Kameraderie.

Aus Kommentaren:

"Peter Grosz ist seit Jahrzehnten ... tätig und l i e ß   s i c h  n i c h t s  z u   S c h u l d e n   k o m m e n."

Was bei anderen Pädagogen eher Animositäten oder Gähnen unter Pubertären zeugt, erweckte hier Sympathie:

"Er ist bei Schülern/Schülerinnen, Eltern und Kollegen beliebt und geschätzt."

Ja, es ist wahr:
"Wer war es denn, der in ruhigen, schüchternen Schülern die Flamme der Selbstentdeckung und Selbstständigkeit gezündet hat?"

Man fragt sich, ob er dergleichen nicht schon während seiner Spitzeltätigkeit tat. Die bekannte Antwort ist die auch hier nicht ausbleibende

"Frage, ob wir zurückblicken wollen oder in die Zukunft!"

Und die Erwartung von Recht, wird von der Barmherzigkeit der Ignoranz gerügt:

"Ich sag nur an die eigene Nase fassen..", und mit Beifall vom Stammtisch der Herzen:

"Richtig so! Es ist eine Schweinerei was da gerade mit diesem warmherzigen Menschen veranstaltet wird."

KULTUR, sonst ein Käsebrot von Schulaufsatz,  bringt plötzlich Demonstrationen
25.02.2010 - OPPENHEIM (aus der AZ):

Beifallrufe und a u f m u n t e r n d e s   J o h l e n  begleiten Peter Grosz um 20.55 Uhr die Treppe hinauf zum Ratssaal, wo der Stadtrat ... entscheiden will. Und als der Lehrer, Autor und Theatermacher eine gute halbe Stunde später das...Stadtparlament wieder verlässt mit der
in karge Worte gefassten Kunde,
dass das Gremium ihn als Leiter der Festspiele offensichtlich ablehne, empfangen ihn nicht nur Fernsehkameras und Mikrofone, sondern auch das vielstimmige Rezitat von Reinhard Meys „Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein".

Dann, auf dem Marktplatz, bilden junge Frauen und Männer einen vielköpfigen Schutzwall um ihren Mentor -war er nicht auch einmal Monitor?-
„Mensch"
haben die gut 120 aktuellen und ehemaligen Schüler des Oppenheimer Gymnasiums, heutige und frühere Mitglieder der von Grosz geleiteten Theatergruppen
und mittlerweile etablierte Jungautoren
mit Klebeband auf ihre Jacken und Sweatshirts geheftet...

„Präsenz wollen sie zeigen ...
„Damit können wir ihm ein kleines bisschen von dem zurückgeben, was er uns gegeben hat", so der einhellige Tenor der Menge, in die sich auch Eltern gemischt haben.“

Haben andere haben nicht eben den gleichen Wunsch?

 „Wir wissen nicht, was damals passiert ist", betonen A R und E S die Überzeugung aller ...

Und eben deshalb demonstrieren sie f ü r  ihn.-

„Allen Beteiligten sollte mit Achtung begegnet werden."
In der Erwartung, dass Opfer und Öffentlichkeit nun endlich Ruhe geben.

Ein „herausragender Pädagoge, für den Menschlichkeit und Werte obenan stehen",

sagten das nicht einst auch Freunde, denen er Freundschaft vortäuschte? Hier aber haben Zugehörigkeit und Ethik der Gruppe das Wort.

*

G e w a l t   u n d   Z u n e i g u n g

In Ludwigshafen wird ein schlechte Noten gebender Lehrer ermordet, in Oppenheim ein warmherziger verehrt. Die Botschaft an den Intellekt ist eindeutig.

Die Gewalttätigkeit der Gruppe speist sich aus ihrer inneren Zuneigung (Zugehörigkeit). So ungefähr zitiert Schulz von Thun eine psychologische Erkenntnis aus dem Nachkrieg, einer Zeit, in der noch mit dem Kopf gedacht wurde. (Die Gewalttätigkeit des Amok speist sich dann wohl in Abhängigkeit vom Wert der Zugehörigkeit aus der Stärke der Ablehnung der Gruppe..)

O Liebe!- O Verstand!! Die -plötzliche?-  Liebe der Schüler zu ihrem Lehrer entzündet sich an seinem Leiden. Eben nicht an dem, das er von sich ab auf seine Freunde wälzte, denen er Freundschaft vorgespielt hatte.

Die Fans singen -wie um gute Moralnoten für Allverstehen zu bekommen- einen Reinhard Mey. Sie heften das Wort „Mensch" an ihre Brust.

Nicht an die der Verratenen.

Auch ich war irgendwann einmal jung. Und ich glaube anlässlich solcher Bewegung: mit der gleichen vorschnellen prekären Urteilskraft geschlagen.

Jünger als der unsäglich Verehrte bin ich froh, älter als seine Verehrer zu sein, die, angesichts der von ihm doch angeblich vermittelten menschlichen Werte, vergessen, Reue von ihm zu erwarten.

Für seine getäuschten Freunde erhoffe ich Solidarität der Freien. Sie bleiben eine kleine radikale Minderheit, der Verstand und Anstand keine Antagonisten sind.

Sonntag, 7. Februar 2010

Am Friedhof tschilpt der Frühlingsvogel

Auf den Hügeln wird es grün. Blau dehnt der Himmel die Kälte aus. Vögel üben ihre Flügel.

An der Wurzel der Linde umarmt ein Schneeärmel den Schmutz und legt etwas Schmutz auf die tauende Vergänglichkeit.

Der Regen hat aufgehört. Ein Bächlein läuft geschwind über die Straße benannten Betonplatten und putzt die schwarzen Schuhe. Die wenigen Tränen aber werden in Tempotaschentücher gesaugt.

Es ist noch zu kalt. Man kann die Frühlingserde noch nicht riechen. Die Hände bleiben erstarrt ineinander gesteckt. Die Gesichter, in den Himmel oder auf die Erde gewandt, verschwinden hinter einer eingedickten Miene Ernst.

Aber der Frühlingsvogel tschilpt.

Der Pfarrer leiert toten Text. Die Herrschaft tritt zur Beerdigung eines Dieners an. Ich reihe mich ein unter die tränenlosen Statisten eines ausgelöschten Lebens.

Man hält den Schrecken der Todesmacht nicht aus und flüstert einander Neugieriges zu. Die Angehörigen beobachten uns, wir suchen in unseren Tränensäcken nach Gefühl und Sinn. Von ferne dünn die Glocken. Wer erinnert sich noch an die Botschaft?

Siehst Du die Macht im Ruhestand? Hüte Dich vor der Erfüllung von Wünschen!- Sieh den Kreis der Einsamkeit, der um ein Zentrum von entleertem Ich ausläuft. Ehrfurcht, Furcht wurden ihm vom Leib gezogen. Des alten Kaisers neue Kleider sind nicht durchsichtig. Sie sind von feinstem Stöffchen, machen unsichtbar, unberührbar wie das Alter. Was geschieht, wenn der Herrschaft die Macht über die Entscheidung genommen wird, wenn das Alter kommt, die Unaufrichtigkeit des Grußes wird nicht mehr von Furcht gewürzt ist.

Vom alten Nimbus ist noch etwas da. Nicht bei den geborenen Knechten, die Ruinen scheuen und ihre faule Treue längst zur neuen Herrschaft trugen. Bei den Freien, die er verletzte und bei den ungeschickten Treuen von der alten Art, die noch nie etwas bemerkten. Er ist von ausgebleichtem Plastik. Ein junger Streber wird kommen, ein wenig zu fest zupacken und es zerbrechen. Nicht einmal ein triumphierendes Aufatmen der überlebenden Feinde wird zu hören sein. Ein Knax in einem Turm der Stille. Die Vögel werden ein kurzes „na und!“ tschilpen. Armer Bub. Was haben sie aus Dir gemacht?

Auf den nassen Platten wird der Schmutz des Winters frei. Klein gebrochene Zweige in schwarzen Punkten und Strichen, wenige Blätter, Split rot und schwarz, der unter unruhigen Schuhen in die Oberfläche kratzt. Unter ihnen zermalmt die Zeit die Knochen meines Freundes. Fremd stehe ich unter Fremden.

Wieviele fühlen? In Frieden zu ruhn hatte auch dieser hier nicht vor. Als die Frau unter Tränen aufschluchzt senkt sich eine Glocke Scham über die Wenigen, schützt sie vor unserer Gleichgültigkeit. Es gehört sich, diesen unauffälligen Mannes geköpfter Hoffnung Spalier zu stehen. Er gehörte dazu. Er nahm seine Aufgabe wahr, wie wir es tun, sofern wir Menschen und Leben nicht spielen. Das Räderwerk stockt einen Moment. Du bekommst die Gelegenheit, zu fühlen, nachzudenken, in die Augen eines Anderen zu sehen.

Sieh Dich an: Aus der Grube tschilpt der Frühlingsvogel.

Du hast noch einen Tag.

Sonntag, 24. Januar 2010

Vor einer Moschee im Jemen


Auch hier singt ein Vogel sein Lied.
Auch hier geht die Sonne auf
und unter.
Auch hier zeigt der Mond seine Sichel
und der Tod gibt Dir Antwort zu seiner Zeit.

Auch hier bricht die Liebe über Deine Pläne herein;
Gott, sagt sie.
Hörst Du noch die Botschaft des Hasses?

Wer legt Dir die Hand auf die Schulter?
Ein Freund der Menschen, an den Gott glaubt,
Oder ein Freund Gottes, der den Hass liebt?

Auch hierher weht die Ewigkeit die Sandkörner der Zeit,
auch hier schreit die Einsamkeit nach dem Blut der Liebenden;
Auch hier brüllt das Raubtier im Käfig Deiner Seele nach Ruhm,
auch hier singt der Vogel Sehnsucht.

Auch hier sagt Gott: Liebe.
Auch hier sagt das Herz: Liebe.
Auch hier kannst Du das Wort der Stille hören
oder Dich verschwören dem Hass.

23.01.10 Klaus Wachowski

Tauben-Gurren in Klagenfurt

Das Drama des verehrten Kindes Freien Herzens kann ich heute sagen, daß ich Dichter bin und nicht unsäglicher Reimeschmied. Am leichtesten...