Sonntag, 20. Mai 2018

Über Gedichte 2003

Das letzte Einhorn ruft.

Wert der Dichtung

Zwei vor langen Zeiten gesammelte Zitate

The last unicorn
When future is memory

Eckermann/Goethe, Dichter ganz groß:

“Ich sehe immer mehr, “ fuhr Goethe fort, “daß die Poesie ein Gemeingut der Menschheit ist, und daß sie überall und zu allen Zeiten in Hunderten und aber Hunderten von Menschen hervortritt. Einer macht es ein wenig besser als der andere und schwimmt ein wenig länger oben als der andere, das ist alles. Der Herr von Matthisson muß daher nicht denken, er wäre es, und ich muß nicht denken, ich wäre es, sondern jeder muß sich eben sagen, daß es mit der poetischen Gabe keine so seltene Sache ist, und daß niemand eben besondere Ursache habe, sich viel darauf einzubilden, wenn er ein gutes Gedicht macht. Aber freilich, wenn wir Deutschen nicht aus dem engen Kreise unserer eigenen Umgebung hinausblicken, so kommen wir gar zu leicht in diesen pedantischen Dünkel.

Ich sehe mich daher gerne bei fremden Nationen um und rate jedem, es auch seinerseits zu tun. Nationalliteratur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Weltliteratur ist an der Zeit und jeder muß jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen. Aber auch bei solcher Schätzung des Ausländischen dürfen wir nicht bei etwas besonderem haften bleiben und dieses für musterhaft ansehen wollen. Wir müssen nicht denken, das Chinesische wäre es, oder das Serbische, oder Calderon oder die Nibelungen;......Mittwoch 31.1.1827

Hans Erich Nossack.    Vorwort zu „Thomas Chatterton“ von Hanns Henny Jahnn

           "Wir aber, die gleich Dir auf der Seite derer stehen, denen noch keine Antwort geworden ist… Ja es gibt sie hier und da in der Welt, und wenn ich sie mir vorstelle, so ist jeder Einzelne von ihnen wie jener Indianer, dessen Stamm von den Feinden erschlagen wurde, und der als Letzter am Rand des Meeres hockt und fragt: „ Was soll ich nun machen? Soll ich Orion werden?“

Jeder allein zermalmt zwischen Konzernen und Konformismen; entmutigt vom Tagesgeschwätz; betäubt vom Getöse der Explosionen und vom Geschrei der Fußballplätze; gelähmt von der mahlenden Gleichgültigkeit des Funktionellen… jeder allein ein verlorenes Wesen. Für diese einzelnen Frager spreche ich hier.

Denn ob sie Dich kennen oder nicht, ob sie Dich gelesen haben oder nicht, die Schwingungen des Satzes, den Du sprichst, dringen über die Einöde aus Zeitungspapier und durch die Kerkerwände aus Schlagertexten in ihre Seele und geben ihnen die menschliche Wärme wieder. Dann weicht die Verzweiflung von ihnen, sie erheben sich von neuem, sie brauchen nicht mehr Orion zu werden. Denn da ist ja noch Einer, um den es sich lohnt und der nicht im Stich gelassen werden soll. Einer, der beispielhaft für uns alle, nach dem einfachen Wort sucht, das auszusprechen nur ihm aufgegeben ist."

Diese beiden Texte habe ich vor langen Jahren unabhängig voneinander gesammelt. Jetzt, wo ich aufräume - keine Angst: allzu ordentlich bin ich nicht und will ich nicht sein - scheinen sie mir sehr stimmig mit der Realität zu sein:

Einerseits Goethe, der seinen Ruhm genoss, aber sehr wohl von dessen zweifelhafter Beliebigkeit überzeugt war, andererseits Nossak, der gegen das Versinken des Werts in der Gleichgültigkeit anschrieb.

Ich sehe die Fülle der guten Texte, die gegen das mittelmäßige oder uninteressante Geschwätz - das naturgemäß lieber gelesen wird und nicht selten auch von mir -   winzig klein sein mag, aber der Zahl nach doch unübersehbar groß ist. Ich nehme aber auch das stechende Desinteresse und den Lärm des Alltags über dem Wort der Sehnsucht, der Liebe und der Einsamkeit wahr. 

Nicht gelesen zu werden ist unter solchen Umständen das geringste Problem. Das schlimmere ist, die Sehnsucht des oder der in der Welt Verlorenen nicht zu erreichen. Jean Paul hat mich erreicht, Virginia Woolf, Robert Walser und einige andere - trotz Lärm und  Gläserklirren aus den VIP - Sesseln bei suhrkamp und Co, dem anderen Walser, Handke, Kunstknurren von Houellebecq, Strauß pp.

Ich gehe zur Andacht des Lebens am Ufer der dunklen See in den Schauern aus Licht und Schatten von Frühling und Winter. Neben mir gehst Du, Freund, Freundin des Wunders, im großen Erstaunen. Erreicht Dich mein Gesang aus dem Garten der Kindheit und von den Musiktagen des Dada Donaueschingen?

Die Amsel, der Spatz sind in ihre letzten Himmel entflogen. Wohin ging ihre Lied?

In die bedrückende Stille sage ich Dir meinen Glauben: das Lied kommt zurück! Der Frühling ist nicht weit. Und wenn Du Dein Ohr auf den Stein legst, kannst Du die Hufe des Einhorns hören.

Frage mich nicht, wie das möglich wurde! So selten ist die Sache gar nicht.

19.5.2018

Nachsatz:

Dieser Text entstand bei einer der immer wieder aufkommenden Zweifel am Sinn dichterischen Interesses überhaupt anläßlich mangelnden Interesses am eigenen Werk. Inzwischen bin ich wieder bei mir, nehme meinen Wert wieder aus der Bewertung heraus.

Der, die Du etwas aus Dir heraus in die Welt trägst, das Dir Wert ist, laß Dich nicht beirren. Auch nicht von mir!

20.5.2018

Klaus Wachowski

Mittwoch, 9. Mai 2018

Der Ball

Der Ball

Ich sah:

Eine Hand voll von Rissen und hervorstehenden Adern.
Eine Hand, rund und gesund.
Einen Ball in zitternder Hand.

Ich hörte:
"Gib ihn mir, bitte!"

Ich sah:

Die Hand
streckt sich der Hand entgegen.

Und:
Eine Hand schlägt einen Ball aus einer Hand.
*
Einst schlug ein Alter mir etwas aus der Hand.
*
Ich denke:

"Das Leben in der Hand".

Tauben-Gurren in Klagenfurt

Das Drama des verehrten Kindes Freien Herzens kann ich heute sagen, daß ich Dichter bin und nicht unsäglicher Reimeschmied. Am leichtesten...