Mittwoch, 24. November 2010

Totensonntag

Es gibt eine Zeit, in der die Dichter nicht mehr Resonanzboden der Welt sein möchten. Lew verläßt seine Familie, Virginia geht zur Ouse, Silvia zum Gasherd, Robert klopft am Tor zur  Psychiatrie an. Sie nahmen sich frei.

Wie leer wäre die Ewigkeit ohne meine Toten. Ich spreche mit ihnen. Richard zum Beispiel.
Wir reden über dieses Erzählkaffee im ehemaligen KZ Osthofen, in dem der Zeitzeuge K. S. von der Angst der städtischen Arbeiterfamilien vor den Nazis erzählte. In jeder Straße ein Blockwart, Denunzianten, Nazis. Dem Matzenbäcker jagen Nazis eine Katze in den Ofen. In ihrem Schmerz schafft sie es über den Kamin bis aufs Dach und fällt verbrannt und nackt auf die Straße, wo sie verendet.

Die bekannte Mischung aus Gefühlen des Mitleids und der Abscheu lähmen die Handlungsfähigkeit. Das Gespräch nimmt den Weg in die Stärkung der Gemeinschaft. Richard gibt einfachen Mut.

Er zeigt auf den Leuchter der Religion, er spricht von den schwarzen Löchern in der Philosophie nach Auschwitz, er gibt großzügig Freundschaft aus. Er streichelt die Katze Weisheit.

Was die Lumpen vernichtet haben, ist weder Liebe noch Freundschaft noch Vertrauen und Hoffnung. Sie überlebten, werden immer überleben, so lange Menschliches überlebt. Aber ich verstehe, wenn Amery  sagt, es sei nach Auschwitz nicht mehr möglich, Gedichte zu schreiben. Selbst der Glaube an die eigentlich gute, menschliche also göttliche Natur des Menschen hat die Herrschaft des Bösen überstanden.

Aber es starben Freude und Fröhlichkeit. Ernst und eine gnadenlose Moral beherrschen nun die Gedanken. Wo sind die Kinder, die Menschen? Schwaden des Todes ziehen zwischen uns. Es ist schwer: das Unbeschwerte, was uns dichten und singen lässt.

Es gibt Liebe und Lust. Kinder kommen in die Welt. Und mit ihnen die Fröhlichkeit. Die Ewigkeit breitet ihre Arme aus. In der Ausstellung " jüdisches Leben " in Speyer sah ich etwas anderes als "nur" das Morden: Das, was wir verloren haben an Nachbarschaft und Normalität, an Freude.

In diesen neuen Zeiträumen scheint neues Leben von neuer, eigener Fröhlichkeit auf. Die Nachtigall in den Hecken von Auschwitz singt auch aus dem Herzen einer Freude, die Wahrheit fordernd sich in den Schmerz der Erinnerung einhakt und listig fragt: ja, weißt Du denn nicht mehr?

Ich glaube, sie hat einen Segen für all diese -neu- Geborenen.

Hallo Lew, hallo Virginia. Ich weiß: Ihr habt Euch nach so viel Fühlen einmal frei genommen für ein Zimmer Alleinsein. Aber selbstverständlich wäret ihr bei Gelegenheit zurück gekehrt in die Länder, die auf Eure Lieder und Lust warten.

Richard holt das Kazoo raus.

21.11.10 Klaus Wachowski

Tauben-Gurren in Klagenfurt

Das Drama des verehrten Kindes Freien Herzens kann ich heute sagen, daß ich Dichter bin und nicht unsäglicher Reimeschmied. Am leichtesten...