Montag, 17. Juli 2023

Jane Birkin 2009 prends cette main

Betrachte dieses Herz

Ich habe die CD "enfants d´hiver" von Jane Birkin gekauft und mußte die Teilnahme am Treffen der Jean-Paul-Gesellschaft absagen. Ich höre tausend Vögel des neuen Frühlings singen und denke an die Blumenwiesen Jean Pauls. Ich höre die Stimme der Jane Birkin.

Ich kann zu wenig Französisch, um ihre Texte zu verstehen. Aber ich verstehe gut Einsamkeit und Sehnsucht. Und Dir geht es nicht anders.

Lass mich dieses Herz betrachten im Spiegel einer Wiese von Krokus gelb und blau! Lasse es sprechen vom Glück der Berührung und vom Himmelsflug der Gedanken. Lasse es aber auch nachspüren dem Schmerz des Verlusts.

Dunkle Wiese des Krokus. Ein Regen fällt in die blitzenden Stimmen der Vögel, in die schwarze Erde, in die Sehnsucht der Blüte. Die Wolke reißt auf und ein Sonnenstrahl taucht die Welt in die von Liebe und Lust erfüllte Stimme der Jane Birkin. Du kannst die Lieder der Vögel wieder hören hinter den Liedern der Vögel. Erinnerung! Du hast ausreichend davon.

Da ist ein Hauch aus dem Norden. Es riecht nach Meer. Die Haare werden zerzaust auf dem vollen Schopf eines Kindes. Die Tulpe auf dem Tisch des Cafe´ leuchtet in der Erinnerung einer Freude beim Hereinstürmen der Rasselbande, in der Erinnerung meiner Freude bei Deinem Eintritt in meine Sehnsucht. Ich denke :“Berührung“.

Ein Schnee!- Ach, sagt die Stimme, geh! Die Bäume rollen ihre ersten Knospen aus. Die Herren und Damen vom up and down kaufen Dessous der neuen Kollektion. Rosa Frühling 2009.

 

Jean Paul sieht auf zum Nachthimmel. Hinter Sonnen und fernen Welten zieht ein Komet unsere Hoffnungen in grüne Träume. Eine dunkle Sehnsucht singt in heller Stimme. Sieh die Kinder und: sieh uns spielen. Jean Paul hört ein seltsames Brausen. Des Lebens und Sterbens Millionen Stimmen. Meer. Und dahinter, darin eine von Dir und mir, Jane.

Schwerer fällt es, das Buch Hoffnung zu öffnen. Aber schal ist der Geschmack der Gleichgültigkeit. Unter dem Regen bekommt die Erde grüne Flecken von Frühling. Ich spüre Atem in mir.

Vom Berg herab strömt warme Luft in die Stadt. In den Körpern regen sich die erstarrten Seelen. Ich begegne meinem Schatten wieder. In aufleuchtenden Räumen läuft er zitternd vor Vorfreude in das Jahr.

Ich verstehe nicht. Noch ist meine Nase verstopft, noch höre ich die Vögel ohne sie zu hören. Wie gleichgültig mir die Menschen noch sind!

Ich spüre, wie sich in mir das Buch Hoffnung öffnet. Aus den leeren Fensterhöhlen der aus dem Meer Alltag ragenden Phantasie steigt eine Toccata, eine Fugue auf. Heller und frischer im Blau ruft der Himmel die Singvögel aus den Sonnenparadiesen zurück, unsere kahlen Felder in solche zu verzaubern. Noch hat die Liebe ihr Golgatha vor sich. Aber die Erde hebt sich schon über der aufbrechenden Lust.

Es gibt wieder richtige Rauschebärte. Er beglückt die Enkelin mit Sprüchen, die schon alt waren, als wir Enkel waren. Ein Großvater, der mein Bruder sein könnte.

Aus welchen dampfenden Pfühlen, schimmelnden Brettern, zerfallenden Zeitungen kommst Du nach Kuhschnappel? Das Fenster war ein Licht in der Finsternis der Stube. Hier wohnten Verbitterung und Depression. Mit Gleichgültigkeit wappnete sich enttäuschte Hoffnung gegen die Liebe des Kindes.

Jetzt hast Du Dir die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gesichert. Du hast Dir ein neues Hemd und neue Hosen gekauft. Was ist die Kleinstadt, die sich Stadt nennt? Du spielst auf einem Wanderstock eine grob geschnitzte Melodie von Kälte, Arbeit, verfaulender Sehnsucht. Und Du würdest so gerne eine neue Welt lernen. Den Glauben an die Nachbarschaft, an das Wechselspiel der guten Wünsche in und aus grünenden Vorgärten, an Leichtigkeit und Lachen in bunten Strassen.

Wie bist Du zu diesem Kind gekommen, das Dir die gute Aussicht aus der Sehnsucht beglaubigt? Sie lacht mit Dir verzeihend über uralte Witze, säuerlichen Mundgeruch. Du zahlst fröhlich aus dem Vermögen eines besiegten Geizes. Weit ist der Weg ins Seniorenheim, wo sie Dich nackt fotografieren und lachend herumzeigen werden. Jetzt aber wirfst Du mit Deiner Enkelin den goldenen Ball nach einem Frosch. Die Grashalme glänzen wie Märchen vom Stiefel des Katers.

Gebeugt kommt mir Z entgegen. Die weit geöffneten Augen sehen die Welt nicht mehr. Sie blicken nach Innen. Lauschend auf das Versprechen: wir zahlen Ihre Rechnung. Geruch der Kanalisation mischt sich mit feineren Ausdünstungen von Chanel, Klein und Schweiß von Wellness. Frauen suchen die Fußgängerzone nach Draußen-Sitzen ab. Der Arzt sagt in himmlischer Ruhe: hast Du den Löwen vorbeilaufen gesehen? Auf dem Weg nach Compostella wurde er erleuchtet. Er wandelt seither durch das Reich der Hypnose, eine Nische im Palast der Verehrung. Gott im Auge des Straßenköters von Guernavaca blitzt ihn grün an im Zorn meines Freundes. Ach Richard, warum hast Du mich verlassen!

Die Frau des Schwerverletzten sieht den Blitz der Gleichgültigkeit im Gesicht der Macht. Patienten, von der Kasse zusammengetrieben, liegen bewegungsunfähig weit von der als Menü bezeichneten, seltsamen Nahrung, versuchen aber gehorsam, mit dem Besteck nach den Tellern zu langen. Besser, es gelingt nicht: wie sollte man das da klein bekommen, wie ohne Hustenanfall die Speiseröhre hinab? Ein Löwe hält kurz an und fragt wichtig: "Hast Du den Chefarzt vorbeitrotten gesehn?" Gabeln und Messer klirren zu Boden. Bettpfannen kippen. Ein warmer Frühlingswind zieht an grauen Schlieren im Fensterglas vorbei ins VIP-Appartement. Der Tod wartet auf die nächste wichtige Person.

Kehr um auf dem Weg nach Compostella: pilgere durch diese Flure, durch diese schlecht gepflasterten Pfade in den leeren Windungen einer von Ich schimmelnden Gehirnlandschaft. Was sagte noch der Dalai Lama zur Rodenstock-Brille?

Ein Ruck ging durch Deutschland,

Du stehst vor der Tür

von Hartz IV

und fühlst Dich wie Silikon

nach vier Jahren Wetter.

Wo ist der Kerl von den großen Sprüchen? Sieh an ein alter 68er bei der Werksbesichtigung von Gazprom.

Schau an, der Künstler, weltumschlungen, knabbert ein trockenes Brötchen Beachtung. Voll Mitleid wirft das vorbei eilende Publikum etwas Kupfer in den ächzenden Narzißmus. Er wird eine totalitäre Bewegung lostreten oder im Zen eingehen.

Ein Paar aus den 50ern mit Goldglanz auf der Wattejacke und rosa, rosa Pullover! Deutschland erwacht aus der Entwertung von zwanzig, dreißig Jahren. Schluck doch selbst den Ruck! 

Das Buch Hoffnung öffnet sich. Jean Paul streut Frühling, Jane Birkin singt einen Regenbogen und eine Berührung. Hier ruh Dich aus, mein Bruder Obdachlos. 

Klaus Wachowski 07.03.09

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