Betrachte dieses Herz
Ich habe die CD "enfants d´hiver"
von Jane Birkin gekauft und mußte die Teilnahme am Treffen der
Jean-Paul-Gesellschaft absagen. Ich höre tausend Vögel des neuen Frühlings
singen und denke an die Blumenwiesen Jean Pauls. Ich höre die Stimme der Jane
Birkin.
Ich kann zu wenig Französisch, um ihre
Texte zu verstehen. Aber ich verstehe gut Einsamkeit und Sehnsucht. Und Dir
geht es nicht anders.
Lass mich dieses Herz betrachten im Spiegel
einer Wiese von Krokus gelb und blau! Lasse es sprechen vom Glück der Berührung
und vom Himmelsflug der Gedanken. Lasse es aber auch nachspüren dem Schmerz des
Verlusts.
Dunkle Wiese des Krokus. Ein Regen fällt in
die blitzenden Stimmen der Vögel, in die schwarze Erde, in die Sehnsucht der
Blüte. Die Wolke reißt auf und ein Sonnenstrahl taucht die Welt in die von
Liebe und Lust erfüllte Stimme der Jane Birkin. Du kannst die Lieder der Vögel
wieder hören hinter den Liedern der Vögel. Erinnerung! Du hast ausreichend
davon.
Da ist ein Hauch aus dem Norden. Es riecht
nach Meer. Die Haare werden zerzaust auf dem vollen Schopf eines Kindes. Die
Tulpe auf dem Tisch des Cafe´ leuchtet in der Erinnerung einer Freude beim
Hereinstürmen der Rasselbande, in der Erinnerung meiner Freude bei Deinem Eintritt
in meine Sehnsucht. Ich denke :“Berührung“.
Ein Schnee!- Ach, sagt die Stimme, geh! Die
Bäume rollen ihre ersten Knospen aus. Die Herren und Damen vom up and down
kaufen Dessous der neuen Kollektion. Rosa Frühling 2009.
Jean Paul sieht auf zum Nachthimmel. Hinter
Sonnen und fernen Welten zieht ein Komet unsere Hoffnungen in grüne Träume.
Eine dunkle Sehnsucht singt in heller Stimme. Sieh die Kinder und: sieh uns
spielen. Jean Paul hört ein seltsames Brausen. Des Lebens und Sterbens
Millionen Stimmen. Meer. Und dahinter, darin eine von Dir und mir, Jane.
Schwerer fällt es, das Buch Hoffnung zu
öffnen. Aber schal ist der Geschmack der Gleichgültigkeit. Unter dem Regen
bekommt die Erde grüne Flecken von Frühling. Ich spüre Atem in mir.
Vom Berg herab strömt warme Luft in die
Stadt. In den Körpern regen sich die erstarrten Seelen. Ich begegne meinem
Schatten wieder. In aufleuchtenden Räumen läuft er zitternd vor Vorfreude in
das Jahr.
Ich verstehe nicht. Noch ist meine Nase
verstopft, noch höre ich die Vögel ohne sie zu hören. Wie gleichgültig mir die
Menschen noch sind!
Ich spüre, wie sich in mir das Buch
Hoffnung öffnet. Aus den leeren Fensterhöhlen der aus dem Meer Alltag ragenden
Phantasie steigt eine Toccata, eine Fugue auf. Heller und frischer im Blau ruft
der Himmel die Singvögel aus den Sonnenparadiesen zurück, unsere kahlen Felder
in solche zu verzaubern. Noch hat die Liebe ihr Golgatha vor sich. Aber die
Erde hebt sich schon über der aufbrechenden Lust.
Es gibt wieder richtige Rauschebärte. Er
beglückt die Enkelin mit Sprüchen, die schon alt waren, als wir Enkel waren.
Ein Großvater, der mein Bruder sein könnte.
Aus welchen dampfenden Pfühlen,
schimmelnden Brettern, zerfallenden Zeitungen kommst Du nach Kuhschnappel? Das
Fenster war ein Licht in der Finsternis der Stube. Hier wohnten Verbitterung
und Depression. Mit Gleichgültigkeit wappnete sich enttäuschte Hoffnung gegen
die Liebe des Kindes.
Jetzt hast Du Dir die Aufmerksamkeit der
Öffentlichkeit gesichert. Du hast Dir ein neues Hemd und neue Hosen gekauft.
Was ist die Kleinstadt, die sich Stadt nennt? Du spielst auf einem Wanderstock
eine grob geschnitzte Melodie von Kälte, Arbeit, verfaulender Sehnsucht. Und Du
würdest so gerne eine neue Welt lernen. Den Glauben an die Nachbarschaft, an
das Wechselspiel der guten Wünsche in und aus grünenden Vorgärten, an
Leichtigkeit und Lachen in bunten Strassen.
Wie bist Du zu diesem Kind gekommen, das
Dir die gute Aussicht aus der Sehnsucht beglaubigt? Sie lacht mit Dir
verzeihend über uralte Witze, säuerlichen Mundgeruch. Du zahlst fröhlich aus
dem Vermögen eines besiegten Geizes. Weit ist der Weg ins Seniorenheim, wo sie
Dich nackt fotografieren und lachend herumzeigen werden. Jetzt aber wirfst Du
mit Deiner Enkelin den goldenen Ball nach einem Frosch. Die Grashalme glänzen
wie Märchen vom Stiefel des Katers.
Gebeugt kommt mir Z entgegen. Die weit
geöffneten Augen sehen die Welt nicht mehr. Sie blicken nach Innen. Lauschend
auf das Versprechen: wir zahlen Ihre Rechnung. Geruch der Kanalisation mischt
sich mit feineren Ausdünstungen von Chanel, Klein und Schweiß von Wellness.
Frauen suchen die Fußgängerzone nach Draußen-Sitzen ab. Der Arzt sagt in himmlischer
Ruhe: hast Du den Löwen vorbeilaufen gesehen? Auf dem Weg nach Compostella
wurde er erleuchtet. Er wandelt seither durch das Reich der Hypnose, eine
Nische im Palast der Verehrung. Gott im Auge des Straßenköters von Guernavaca
blitzt ihn grün an im Zorn meines Freundes. Ach Richard, warum hast Du mich
verlassen!
Die Frau des Schwerverletzten sieht den
Blitz der Gleichgültigkeit im Gesicht der Macht. Patienten, von der Kasse
zusammengetrieben, liegen bewegungsunfähig weit von der als Menü bezeichneten,
seltsamen Nahrung, versuchen aber gehorsam, mit dem Besteck nach den Tellern zu
langen. Besser, es gelingt nicht: wie sollte man das da klein bekommen, wie
ohne Hustenanfall die Speiseröhre hinab? Ein Löwe hält kurz an und fragt wichtig:
"Hast Du den Chefarzt vorbeitrotten gesehn?" Gabeln und Messer
klirren zu Boden. Bettpfannen kippen. Ein warmer Frühlingswind zieht an grauen
Schlieren im Fensterglas vorbei ins VIP-Appartement. Der Tod wartet auf die
nächste wichtige Person.
Kehr um auf dem Weg nach Compostella:
pilgere durch diese Flure, durch diese schlecht gepflasterten Pfade in den
leeren Windungen einer von Ich schimmelnden Gehirnlandschaft. Was sagte noch
der Dalai Lama zur Rodenstock-Brille?
Ein Ruck ging durch Deutschland,
Du stehst vor der Tür
von Hartz IV
und fühlst Dich wie Silikon
nach vier Jahren Wetter.
Wo ist der Kerl von den großen Sprüchen? Sieh an ein alter 68er bei der
Werksbesichtigung von Gazprom.
Schau an, der Künstler, weltumschlungen,
knabbert ein trockenes Brötchen Beachtung. Voll Mitleid wirft das vorbei
eilende Publikum etwas Kupfer in den ächzenden Narzißmus. Er wird eine
totalitäre Bewegung lostreten oder im Zen eingehen.
Ein Paar aus den 50ern mit Goldglanz auf
der Wattejacke und rosa, rosa Pullover! Deutschland erwacht aus der Entwertung
von zwanzig, dreißig Jahren. Schluck doch selbst den Ruck!
Das Buch Hoffnung öffnet sich. Jean Paul
streut Frühling, Jane Birkin singt einen Regenbogen und eine Berührung. Hier
ruh Dich aus, mein Bruder Obdachlos.
Klaus Wachowski 07.03.09
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