Sonntag, 1. Juni 2008

Philosophische Psychiatrie

Wes bedarf der Mensch? Nicht des Brotes allein. Aber so baut er Städte, so brennt er sie nieder.

Er riecht an einem Jasmin aus des Propheten heiligen Garten. Er tritt das Gaspedal des Terrortrucks ganz durch. Er hört den Ruf des Pfau.

Ein Märchen zieht den Wickelrock aus, legt das Kopftuch um seine Glatze. Er küsst es auf den Schnittpunkt des Eros mit der Phantasie.

Die Wälder versinken, das Geheimnis des dunklen Brunnens versiegt, ein Pfauenruf wie ein Todesschrei.
Le seminatori de grano des Gianmaria Testa. Sie kommen über die Hochebene mit sorgsamen Schritten. Sie säen das Korn verborgen vor den Fernstechern der Polizei. Und die Sonne erhebt sich in einen neuen Tag des kollektiven Freizeitparks.

Der Sozialaristokrat Plechanow erschrickt über den Zugang einer Seniorengesellschaft zu den Bedürfnissen, ein verrosteter homo dubiosus für das Privatfernsehen, dieser Privatversteher mit echten Rentnern in der Vitrine.

Schlaufweichungen bedrohen die Stadt. Die Stücke, die den rund 100 Zuschauern bei ihrem Pilgerzug durch die Innenstadt im 20-Minuten-Rhythmus gezeigt werden, sind spannend, skurril, brutal und witzig zugleich. Die ganze Bandbreite zeitgenössischer Dramatik eben.

"In uns herrscht die Brutalität, und es ist nur die Balance von Schutzfaktoren, die den Ausbruch verhindert," sagt Roth. Spannend und bedrängend zugleich.

"Kampf der Wampe!", ruft es aus der Wellnes-Ecke: "Bauchfett bringt Stoffwechsel durcheinander."

Braun ist die Hütte, aus deren Inneren Adjou auf den Lärm hinaus sieht. Er hat die Zeit der ideologischen Massenmorde überlebt, Flucht und Aufbau und nun das hier: der kollektive Freizeitpark von Gnaden der Gleichgültigkeit. Der Mensch als Zuschauer. Laß, laß... Soviel Wahn, Hoffnung, Sehnsucht umsonst. Soviel Sterben für Leben umsonst... "Hallo, Bidjou!", eine Liebe, eine verlorene Lust.

Ein Priester stolpert vorbei. Mal Missionar, mal Entwicklungshelfer gewesen, jetzt einsam in der Leere einer juxenden, juckreizvollen Genusswelt. Der Sinn im Genussmittel, Sinnlichkeit und Ichverlust der Lustgesteuerten. Wo bist Du, Gott des Whiskey? Sind besoffene Massai wirklich von besoffenen Deutschen zu unterschieden?

Da draußen, dieses alles beäugelnde endlose Verliebtsein, ein Bienenschwarm. Von der Arbeitsameise zur Lustmaschine. Man spielt Politik, Diktatur, Lynchjustiz und säuft Blut aus Cocktailgläsern des Privatfernsehens. Verbrechen aus Lust verdrängen Verbrechen aus Leidenschaft. Der Physiotherapeut lockert den schmerzenden Muskel, foltert abends für das Sadomaso-Casting. Superstar, Supercop, Superdepp, ist das der Höhepunkt der menschlichen Entwicklung? Ich bin der Herr, Dein Jux, Du sollst keine anderen Animateure neben mir haben.

Für Karl Kraus war es gefährlicher, einem Kärrner als einem Kaiser, es kommt so weit, dass es schlimmer ist, einem Bohlen die Wahrheit zu sagen.

Neue Formen des Verbrechens: Morden aus Lust, Zusehen aus Lust, Wiederholung der Lust in der öffentlichen Präsentation. Wo bleiben die neuen Strafen? Bürger zu Kunde, und noch tiefer sinkt die entpersonalisierte Person: zum Publikum. Den Anspruch auf solidarische Hilfe haben die Hartzer von Cohiba und Currywurst in ein Billet zur Teilnahme an einer Massenfütterung umgeswicht. Chips und Spiele.
Sportler und Schauspieler, Moderatoren und Mediendiktatoren werden Präsident. Die Republik erwartet den Einzug des Blumentopf-bekränzten Caesar. Die Provinz spiegelt den Zerfall in der Erektion von Dialekt, im kollektiven Orgasmus von Heimatfest und Lynchjustiz.

Rom geht unter im Imperium. Primitive fundamentalistische Cliquen und Stammesverbände vom Pflasterstrand brennen ihre Tribals in die adipös gewordene Beute.

Adjou erinnert sich an das Fest der Psychiatrie, bei dem seine Analytikerin im Dutt umherstolzierte. Er wird nie mehr vertrauen.

Die Band spielte einen traurigen Rock aus kahlen Köpfen und erlöschenden Leidenschaften. Roberto Blanco und Stefan Silbernagel aber lächeln einen immerwährenden Spaß vom Sonntag.

Ein Wolkenbruch jagt die Glückseligkeit auseinander.

Der Mensch wird wieder zu sich zurückkehren: Dort schnattern Drei über allerlei bunt blühende Belanglosigkeiten des täglichen Werdens und Vergehens, Tod und Geburt, Verwandtschaft, Nachbarschaft, Schönheit und Schäbigkeit. Alle Gentechnik hat Unterschiedslosigkeit nicht heranzüchten können. Man lebt an unterschiedlichen Orten, in unterschiedlichen Sonnen- und Schattenflecken. Auch sein Klon, zwei Tische weiter lacht ein anderes Lachen aus einer anderen Erfahrung von Einsamkeit und Vertrauen. Was weiß er von Bob Dylan und Bierbauchhormonen? Es ist gleich, ob wir gleich sind oder einander nur gleichen.

Alles ist eitel in der Abwesenheit des Wissens um das Lebend-Dürfen, Sterbens-Müssen. Adjou lacht. Sein Klon fällt ein,- eine zehntel Sekunde später. Der entscheidende Unterschied, der nicht mehr nur räumlich ist.
Er sieht hinaus, der Mensch kommt zu sich. Es gibt das Leben. Es gibt den Tod.

30.05.08 Klaus Wachowski

Tauben-Gurren in Klagenfurt

Das Drama des verehrten Kindes Freien Herzens kann ich heute sagen, daß ich Dichter bin und nicht unsäglicher Reimeschmied. Am leichtesten...