Sonntag, 9. Dezember 2012

Schnee kehren



Aus dem schwarzen Abend fällt Schnee in meinen Garten. Ich räume die Wege und den Gehweg an der Straße. Ich bin stolz darauf, dass man über den Gehweg vor meinem Grundstück bequem und ohne Gefahr gehen kann.

Es taut und dann fällt erneut Schnee.

Meine Arbeit wird vom Schnee des Desinteresses ebenso zugedeckt wie die schlechte des Reimeschmieds. Sie ist für immer weg.

So vergehen wir. Noch liegen unsere Spuren offen vor den Augen der Passanten. Glaube nicht daran, dass einer stehen bleibt! Es taut. Und nach einer Generation sich Erinnernder fällt neuer Schnee.

Noch ist eine Spur von Richard in den Erinnerungen von Angehörigen und Freunden sichtbar. Die Gemeinschaft erkennt noch Reste von Spuren der Elefanten und der in das  Interesse getriebenen Rinderherden. Schon wird es wärmer. Und morgen wirst niemand mehr etwas von Deinen ge- und mißglückten Taten und Gedanken in und unter der Schneedecke erkennen können, auch in dem unwahrscheinlichen Fall, dass er sich für Dahingegangenes interessierte.

Insofern ist der Trost der Angehörigen, der Tote lebe schließlich in der Erinnerung fort, eine milde Täuschung. Es bleibt, selbst von den gewaltig in die Beachtung gepreßten, nichts. Denn die Beachtung wird bei eintretendem Tauwetter wieder eins mit der sichtbar werdenden Topographie des Gleichgültigen.

Wir wissen es und drücken unsere Fußstapfen tapfer in den Schnee.

Vielleicht sind wir aber auch nicht die Spur, sondern tanzende Schneeflocke. Welchen Abdruck hinterläßt Du in der Retina der Erinnerung dessen, der zufällig gerade jetzt am Fenster steht und Dich beim Einsinken in den Lichtstrahl seines Bewegungsmelders sieht?

Aber jetzt wollen wir die zweite Schopenhauersche Bewegung machen: Wird der Beobachter und Alles noch sein, wenn einst in unserer Erinnerung Nacht wird?

Was können Moral und Ehrgeiz raten? Denke an die Giftblasen aus den Sümpfen des Unmenschlichen, die weite Gegenden undenkbar machen, während das Wirken und Wollen der Opfer oft nur als allgemeiner Schmerz bleibt und - versinkt. Die Liebe aber ist das Größte in aller Vergänglichkeit, was mit und in uns verloren sein wird. Ein Kuß geht aus von einer Sehnsucht. Eine flüchtige Berührung macht die Seele brennen. Und die Welt verwandelt sich in Wert.

Jetzt! ist es schön und schrecklich, leben, blitzen wir auf. Jetzt! können wir danken und fluchen. Es schneit. Komm, wir müssen räumen.

09.12.12 


Dienstag, 4. Dezember 2012

Advent 2012

Trübsinnig in das Kerzenlicht starren. An die schweren grauen Wolken draußen denken. Es ist kalt von innen und außen. Getrieben durch die Herbsttage bleibt das Blatt schließlich in einen feuchten und kalten Loch hängen und verwest.

Ich wollte nichts als über das nachdenken, was da draußen geschieht. Aber das Leben treibt mich von Alltag zu Alltag.

Ich male einen schwarzen Wolkenhimmel dunkler. Darunter einen Streifen Blau und grün-braunen Boden. Der rote Rand überm Blau und die gelbe Sonne sind gelogene Hoffnung. Mit einem Regengrau links und einigen schwarzen Flecken taumelnder Raben lasse ich es gut sein.

Und noch eine Beerdigung im Nieselregen. Wer umarmt die Hinterbliebenen? Die Förmlichkeit des Höflichen ist schmerzfrei und taucht Dich tiefer in die Einsamkeit. Bei Aldi kauft und verkauft sich inzwischen die Gegenwart, als wäre nichts etwas wert.

"Nur kein Pathos!" ruft die Gruppe 47 uns aus den 50er Jahren zu und glaubt, dadurch frei vom Nazi-Tonfall zu sein. Ohne Pathos aber killte die SS. Celan wird still gemieden.

Nachrichten. Ist die Gründung eines Staates Palästina ein Glücksfall oder ein Unglück? Angriffe sind nun Kriegshandlungen. Ob das einen Frieden aus dem Geist der Realpolitik ermöglicht? Die Jubler sind mir so verdächtig wie die Aufbrausenden. Es ist schon besser, keine Möglichkeit der Apartheid mehr nutzen zu können. Aber auch sehr schwer, von Staaten des Fanatismus umgeben zu sein wie Polen 1939. Schwebt nun der dritte Weltkrieg über uns,Ihr Jubler und Hasser?

Ein langjähriger Korrespondent aus Nigeria schreibt über die Nation der vierzig Nationen und des Öls. Den Mythos von den Stammeskriegen löst er auf: Ein Nationalstaat bildet sich in den Geburtswehen der Königsdramen Shakespeares, der Borgia-Intrigen, der siebenjährigen Kriege und der Samurai-Schlächtereien Japans. Die Stämme kämpfen nicht mehr um die Herrschaft über die anderen, sondern um ihren geschützen Platz in der Nation. Eine Republik zu bilden und zu halten, wo noch Eliten die die Macht unter einander aufteilen und nicht allgemeine Interessen sie steuern, ist schwierig. Ganz besonders, wo das politische Bild sich an Staaten orientiert, die durch dieses Tal schon durchgegangen sind und sich inzwischen gegen etwas ganz anderes, den Machtverlust des Bürgers an seinen Vertreter, wehren.

Auch in Nigeria bereits Watergate-Tendenzen beim Versuch, eine Republik zu verhindern: das Militär enthauptet zuerst die allgemeine Verwaltung, dann die Polizei, schließlich löst es die Parteien auf. Was helfen Gesetze, wo ihre Beamten entlassen sind. Was ist ein Staat ohne Beamte seiner Verfassung?
Wie gut, auch einmal Gedanken der Klarheit vorzufinden.

Yasukichi berichtet aus seiner Begegnung mit zwei ausländischen Lehrerkollegen. Der Engländer weiß nichts von Shakespeare, der Amerikaner rechnet Stevenson zu den Yankees. Von Strindberg haben sie wohl überhaupt keine Ahnung. Ein Mann des Interesses in der Wüste Ego. Mir gefällt er. Dieser Japaner des Umbruchs nach dem ersten Weltkrieg hat mehr Abendland, via Menschheit in sich, als das Meiste, was mir aus den Feuilletons der Wichtigkeiten entgegenspricht. Eigener Weg bei Sehnsucht aus der Welt. Das zeichnete auch den Lehrer Richard Weber aus, meinen verstorbenen Freund. Spuren eines Englischlehrers in der Winternacht:

"Dem Fuhrwerk, auf dem der Sarg stand, folgte ein weiterer Wagen durch das düstere, winterliche Viertel zum Krematorium. In dem leicht angeschmutzten hinteren Wagen saßen Jukichi und sein Cousin, ein Student. Ihn machte das Schaukeln nervös. Er sagte kaum ein Wort, denn er hatte sich in ein Buch vertieft. Es war eine englische Übersetzung der Erinnerungen Liebknechts." (Genkakus Bergklause von Ryonosuke Akutagawa Januar  1927)

Die Kerze leuchtet warm in den Sonntag. Ein Lichtschein auf meiner Malerei. Die Raben fliegen auf in die düsteren Wolken. Ihr Schrei ruft zum Aushalten. Die Flügel im Wellenschlag. Ein Rest Himmel wirft helle Streifen auf das Land. Man hört das Gurren der Tauben von Klagenfurt.

Ein Klub von alten Kopfnickern trifft sich zu einer Weihnachtsfeier. Feinschnecker, Genießer stillen Privilegs. Schlemmer und Wichtigkeiten. Das Kind läßt sich flach auf den Boden fallen.









Tauben-Gurren in Klagenfurt

Das Drama des verehrten Kindes Freien Herzens kann ich heute sagen, daß ich Dichter bin und nicht unsäglicher Reimeschmied. Am leichtesten...