Alter
und Kunst
Die
Welt löst sich von mir, ich löse mich von ihr. Der Rücken ist bretthart. Das
Leben hält mich mit der Kralle eines Raubvogels.
Jo
war ein wirklicher Künstler der Fotografie. Ich entdecke es richtig erst an
einigen Alltagsfotos in Farbe. Er suchte und sah das Ding in und hinter den
Objekten: das Du im Subjekt.
Natürlich:
Was ist dieser kahle Baum im Winter?
Die
Sehnsucht nach der Sonne, weg vom Zug der Schwerkraft. Die Sehnsucht nach
Ausbreitung im Raum. Nach Halt. Berührung, Mischung von Wasser und Luft. Die
Form aus dem Willen.
Er
sah es und fotografierte.
Was
ist der Mensch in seinem Körper? Die Augen sagen es, Gang und Haltung. Auch das
versuchte er zu zeigen.
Die
Welt hat sich von ihm gelöst. Wer will kann ihre Spuren in seinen schwarz -
weiß - Fotografien als Abdrücke seiner Seele nachlesen.
Ich
konnte und kann vermutlich auch heute noch nicht Menschen zeichnen. Ein Kopf
ist kein Ei, ein Blick hat zu viel Person in sich, als dass ich davon absehen
könnte und es in der Form nachziehen. Das scheint mir aber die Bedingung von
Zeichnung und Fotografie zu sein: beides in Einem zu sehen und zu zeigen.
Jetzt,
wo ich alt bin, verliere ich die Fähigkeit, hinter der Form den Menschen zu
erkennen. Es dauert immer länger, die Aufmerksamkeit wird durch das Energie
raubende Fixieren verdrängt. Beides gemeinsam ist mir nur noch schwer möglich.
Vermutlich kann ich exakter zeichnen, weil ich mir die Zeit nehme. Aber das
dahinter erkennen und zeigen: ist mir das (noch oder erstmals) möglich?
Solange
die Welt nicht von mir ab fällt, weil ich sehen und nachbilden. Wie sonst
könnte ich sie berühren?
Jo
hat sich wie manche Künstler*in in Fragen der Technik und der ideologischen
Forderungen verstrickt. Das nahm ihm einiges an Energie und ließ ihm zu wenig
Zeit für erfolgreiches Beziehungknüpfen.
Jetzt sehe ich: er sah.
24.1.2023
Klaus Wachowski