Montag, 23. Januar 2012

Im Spiegel ein Vogel

Voll von Ärger und Aufgaben gehe ich in einen grauen Sonnenaufgang unter grauen Himmeln. Die Bäume in den Gärten stehen entlaubt aber voll von Knospen unter der feucht glänzenden schwarzen Rinde. Ein Vogel sagt einen guten Tag.

Hallo, mein Freund! Wie schön, Dich zu hören, wenn Du mich so mitten im Rausch der Geschäftigkeit ansprichst. Du sprichst und öffnest mir die Tür in den Raum Alleinsein.

Wie still es ist, wie schön! Dein sprechender Gesang hat mich in ein schwarzes Spiegelkabinett entführt, in dem die Welt ein ernstes Gesicht zeigt. Ich betrachte das Wunder Sein.

Ich höre den Sprechgesang meines Freundes von der Ahnung Frühling.

23.01.12 

Donnerstag, 17. Februar 2011

Helge Prase



Gott geht durch Karlsruhe. Er sucht den Gerechten Helge Prase, der nicht an ihn glaubte. Wieder Einer an den Tod verloren.

Die Sonne leuchtet den Frühling ein und die Vögel singen von der Leichtigkeit des Seins. Die Straßenbahn quietscht von neuer Lebens- und Einkaufslust.

Die Verlorenheit der obdachlosen Brüder ist nun wieder größer, sie selbst sind wieder zu Bettlern geworden. Nicht dass sie große Hoffnung in uns gesetzt hätten. Am Rand der Gesellschaft zeigt sich, wie dünn der Firnis der Achtung ist. Hier gewinnt der Begriff "Wertschätzung" an Heuchelei, hier scheitern Sprüche an Erfahrung.

Ich erinnere mich an seine leise Stimme, sein schütteres Haar über manchmal gelblichem Grind an die rötliche Haut. Ich erinnere mich an seine Menschenfreundlichkeit und an seinen Glauben an die Macht der Solidarität.

Die Eltern hatten ihn in ein Waldorf-Internat gesteckt. Er hatte in der Landwirtschaft gelernt und gearbeitet. Auch ein Examen als Altenpfleger habe er abgelegt. All das war nichts von dem, was ihn bewegte.

Er wollte die Erde auch für die ziellosen Wanderer einer abhanden gekommenen Republik machen: "Auch Du gehörst dazu." In der Schillerstraße 11 stellte er die redaktionellen Beiträge für die Karlsruher Straßenzeitung zusammen, gab die Exemplare an die Schicksalsgenossen zum Verkauf aus und rechnete mit ihnen ab.

Hier war Frieden, hier gab es Rat und Hilfe. Vor allem aber Aufmerksamkeit für Aufgegebene, die sonst mit bedrückendem Mitleid, mit Pharisäern und Regulatoren vorlieb nehmen müssen. Die Prügel des Vaters, die Hysterie der Mutter, die Interesselosigkeit dieser seltsam nach Glück strebenden Großen, die den Kleinen da umrennen, um die Ersten am Wühltisch zu sein. Diese Gottesdiener, deren Begeisterung von Gott Du teilen mußt, wenn Du gerne etwas von ihrem Tisch hättest, Vernünftige, deren Begeisterung für  weiß gestrichene Rauhfaser Dir ins Ohr geblasen wird, während sie Dir etwas in den Hut werfen.- Wer geht einfach ein Stück Gespräch mit Dir?

Zwei mal habe ich in den letzten Jahren mit ihnen Kaffee getrunken. Was war dort anders als hier? Die Hoffnung auf persönliches Glück ist nicht kleiner und das Vertrauen auf den Nächsten nicht größer als in der Mitte der sich als etwas Besseres fühlenden Gesellschaft. Du findest die miesen Sprüche der Sarrazin-Tische neben den besoffenen Hoffnungen der narzißtischen Projektemacher und dem halt einfach Weiterleben der Depression.

Da war Messie - alte Bücher bis unter die Decke-. Da war linke Hoffnung aus der Zeit der 68er und Wut aus Hartz lV. Da war unverhüllter Ausländer-Haß bei manchen Gästen, gegen den seine menschenfreundliche Haltung nichts aufzubieten wusste als eine beschwichtigende Geste.

Ich begleitete ihn in die Stadt. Es wäre doch einmal gut zu erfahren, was ein obdachloser Redakteur so auf dem Sozialamt hört!

Nun: "Er solle doch mal eine Alkohol-Kur machen."
"Warum? Ei, das sehe man ihm doch an!"

Und was meint der Verachtete zum  kulturellen Ereignis der letzten Ausstellung im ZKM? Hier schweigt der einst mit Eurythmie aus der Kultur Vertriebene. In seiner, ihrer, Zeitung haben Gedichte und Bilder ihren Ursprung in einer persönlich gefühlten Empörung, in einer wilden Hoffnung, die mit dem Rücken zur Enttäuschung steht. Der Abstand des Frustrierten zum Gelangweilten ist zu groß, wiewohl der Eine nur den Kopf drehen müßte, um in die Seele des Anderen zu sehen.

Ja, Solidarität: nicht mit dem Lumpenproletariat meinte wohl die Linke, die keinen gesteigerten Wert auf seine Kandidatur legte. So kommt ein Obdachloser zu den freien Wählern.

Wir gehen in eine Bäckerei mit Café- Tischen, wo junge Verkäuferinnen lächelnd und mit spitzen Fingern ein Brötchen in die Hand geben. Die schlimmste Zeit sei ja nicht der Winter. Da hätten die Leute schon Mitleid. Im Frühling, da hätten die Kunden in den Einkaufspassagen zu viel zu tun, um auf die Zeitungen anbietenden verlotterten Figuren an den Eingängen zu achten.

Was ist Leben? Schwer ist es ohne Liebe. Wer legt Wert auf Deine? Sie ist nur noch ein Wort in Weihnachts- Geschichten. Du aber wanderst in der Wüste Leben, sie zu finden.

Fußgängerzone: Da wo die Gleichgültigkeit ist, da gehts die Borderline entlang. In Morast von Mitleid und Verachtung versuchst Du, nicht auszurutschen. Wo die Liebe schwand, hilft Freundschaft unter Verlorenen. Lass uns gemeinsam einsam sein. Helge nimmt Dich mit in die Schillerstraße.

Er ist weg.

Gott sucht vergebens nach einem Exemplar Straßenzeitung. Ich sehe wie sich das Vertrauen des Bürgers in den Bürger auflöst. Das Ich der Welt zieht sich in eine Familie zurück oder geht wie der japanische Dichter Basho im Leben schon leblos durch fremde Welten.

Aber ich bleibe Optimist und glaube an die Macht der Solidarität, die Eure deutschen Depressionen in ägyptische Hoffnungen umgießen wird. Mit Helge.

16.02.11 Klaus Wachowski

Montag, 20. September 2010

Der Lichtblick


Aus dem ewigen Regen des herbstlichen Galizien treten wir ein in das Gymnasium Brody. Hier hat also Joseph Roth sein Abi gemacht. Die Schule sah sich aufgrund seines Ruhms gezwungen, einen Raum als Museum zur Verfügung zu stellen. Die Schüler lernen hier inzwischen sogar Philosophie statt stramm gezogenen Marxismus.
Na ja, ganz schön. Das Gebäude ist so etwa 1900. Das Innere erinnert an das des Altbaus meines Gymmies etwa 1970. Was berührt so angenehm an Erinnerung? Es war doch wahrhaft nicht schön außerhalb der Clique: autoritäres Regeln, Drohen mit Noten und Verweisen bei jeder freien Regung. Elitäres Bildungsgehabe von saturierten Langweilern, außerhalb ihres  Besserwissens bore-dumm. Coach-potatoes und gestresste Diven des Kurbetriebs Kultur. Wir aber wollten wissen und - leben.
Auch auf ukrainisch läßt sich von oben heftig zischen, wie eine Mitreisende erzählt: Vorhin hat eine -jetzt lächelnde- Dame einen der brav und blau angezügelten Schüler zusammengestaucht.
Die Wände in dezenten Tönen des ruhmreichen Habsburg, Polen, Rumänien, der ruhmreichen  Sovjetzeit oder der noch nicht ganz so ruhmreichen Revolution gehalten, strahlen vornehme Pflegeleichtheit aus. Die Klingel schellt: die alte Schulklingel von der Volksschule Edenkoben, vom ollen Leipniz Neustadt, vom Pilsuzki-Mickiewitzki Wroclaw, Kaiser-Schmonzesmaturat Wien, Komsomolski-Technograd Moskau oder Aureliano-Maximus Bucuresti. Immer Erlösung vom Zwang und Drohung zu neuem Zwang. Die Starken und die Cliquen ergriffen die Macht im S hulhof, wir verzogen uns davor in eine arrogante Geste. Hier ist es nicht anders, nur dass noch ein paar Tutoren und Denunzianten machtlos herumstehen. Es soll wohl irgendwie edel und gentleman-like diszipliniert aussehen. Inzwischen denke ich: auch egal. Ob das Ego auf diese oder jene Weise Ernsthaftigkeit und Verantwortung spielt. So lange das andere Ego nicht auf den Trick hereinfällt.-
Wie stolz waren wir, dass es ihnen nicht gelungen war, unser Denken breit zu klopfen. Und nun stehe ich hier als Teilnehmer einer Bildungsreise...
Was ist Glück ?
Zuerst ist wohl das Staunen. Aber es muß noch warten: steif von Bildungsbereitschaft betrachten wir die Bilderreihe an der Wand: Brody einst und jetzt. Altes Rathaus, renoviertes Rathaus; alte Schule, neue Schule usw. Auf einer polnischen Ansichtskarte von ca. 1900 lese ich "herzliche Grüße von Irene Hirsch" (lieber keine herzlichen Briefe von Steinbach bekommen!). In Deutsch-Sütterlin. Ob sie mit dem Wohltäter Baron Hirsch verwandt war, der die Handelsschule gestiftet hatte? Ob sie in diesem Fall den Nazis entkommen konnte?
Was ist Brody jetzt gegen Brody einst? An der gegenüber liegenden Wand hängen von Schülern gemalte Bilder. Ein düsterer Jesus und ein wunderbar kitschiges Bugs Bunny.
Zuerst ist wohl das Staunen. Hinter unserem Rücken steigen Sektperlen von unterdrücktem Lachen auf. Aufgeregtes Flüstern von Mädchen und Jungen.
Als wir uns umdrehen, blicken wir in zwanzig aufgeregte und vor Schreck und Schüchternheit stumme Gesichter von Schülerinnen und Schülern. Auch wir wissen aus der Verlegenheit des Fremden nicht, was wir sagen sollen. Ein erstarrender Raum zwischen uns gebiert ein riesiges Fragezeichnen. Das Staunen und die Neugier werden stärker als die Gleichgültigkeit des Besserwissens und das Mißtrauen des Mißanthropen, zu dem das Zeitalter des Narziß den westlichen Supermarktsbewohner gemacht hat. Und in diese Seelen hier ist noch nicht die bittere Enttäuschung von Aussortierten eingeflossen.
Kurzum: das Wunder geschieht:
"Do you speak English?"
Die Herzen gehen auf und hundert goldene Fragen taumeln zwischen alten Wessies und den Kindern der Hoffnung.
Was machst Du? Wie lebst Du? In welcher Sprache sprecht Ihr?
Ach, es kommt ja gar nicht auf Antworten und Wissen an, sondern allein auf das Antworten und Fragen.- Aufmerksamkeit, wie unscheinbar erscheint das Wort im Alltag. Man fordert sie von uns. Aber wann haben wir sie zuletzt erfahren? Was Antworten!?- Wir wollen uns unsere durchsichtigen Phantasien doch gar nicht durch die grauen Vögel des Wissens und der Erfahrung zerstören lassen! Wir finden uns wieder in einem Taumel des unnützen, nur Sympathie, Fröhlichkeit und Freude blitzenden Gesprächs. Geht so der Anfang von Hoffnung? Auf Mensch und Welt.-
Du kannst es glauben: der so düster gemalte Jesus reißt die Wolken auf, schnippst mit den Fingern und Bugs Bunny springt mitten in unser Vertrauen.
Die Klingel schrillt: schnell, schnell zurück in die Klasse. Heute Nachmittag träumen glühende Seelen von San Francisco, Europa, Freiheit und Glück bei Freunden.
Husch, husch zurück in den Bus aus der Bildungsrepublik. Unter den schweren Wolken der Ernsthaftigkeit füllen sich unsere von Erfahrung steifen Herzen mit Lächeln. Der Mensch ist möglich.
Sie sagen Euch, was Ihr wissen und was Ihr vergessen sollt. Ich wünsche Dir: Sei und werde!

Zu Hause empfängt mich ein Fest mit einem flotten Song, der "never ends in Southern California". Es klingt schon lang nicht mehr besser als das „Alzer Lied", dargebracht von Weinmajestäten. Eine Erinnerung von Aufmerksamkeit in einer ukrainischen Schule schützt vor Verbitterung. Denn ein Teppich aus dem Land Ruanda, von Grauen geprägt wie das unsere, sagt unser liebstes Wort mit der Sehnsucht der Rose Ausländer: „Du“, das Zauberwort gegen Weltbilder. Ihr aufgeregten chassidischen Lichter der Freude: Sie war ganz nahe bei Euch geboren.

Klaus Wachowski         18.09.10

Erinnerung an den Waldspaziergang, an X

Wir können nicht mehr übereinander reden. Was fühltest Du, als Du vor mir auf dem Weg hinaus in den Wald Du sprangst? Vom Weg ab hinein in d...