Über Gedichte 2003 (Ich war
52)
Das letzte
Einhorn ruft.
Wert der
Dichtung
Zwei vor
langen Zeiten gesammelte Zitate
The last
unicorn
When future
is memory
Eckermann/Goethe,
Dichter ganz groß:
“Ich sehe
immer mehr, “ fuhr Goethe fort, “daß die Poesie ein Gemeingut der Menschheit
ist, und daß sie überall und zu allen Zeiten in Hunderten und aber Hunderten
von Menschen hervortritt. Einer macht es ein wenig besser als der andere und
schwimmt ein wenig länger oben als der andere, das ist alles. Der Herr von
Matthisson muß daher nicht denken, er wäre es, und ich muß nicht denken, ich
wäre es, sondern jeder muß sich eben sagen, daß es mit der poetischen Gabe
keine so seltene Sache ist, und daß niemand eben besondere Ursache habe, sich
viel darauf einzubilden, wenn er ein gutes Gedicht macht. Aber freilich, wenn
wir Deutschen nicht aus dem engen Kreise unserer eigenen Umgebung
hinausblicken, so kommen wir gar zu leicht in diesen pedantischen Dünkel.
Ich sehe mich
daher gerne bei fremden Nationen um und rate jedem, es auch seinerseits zu tun.
Nationalliteratur will jetzt nicht viel sagen, die Epoche der Weltliteratur
ist an der Zeit und jeder muß jetzt dazu wirken, diese Epoche zu beschleunigen.
Aber auch bei solcher Schätzung des Ausländischen dürfen wir nicht bei etwas
besonderem haften bleiben und dieses für musterhaft ansehen wollen. Wir müssen
nicht denken, das Chinesische wäre es, oder das Serbische, oder Calderon oder
die Nibelungen;......Mittwoch 31.1.1827
Hans Erich
Nossack. Vorwort zu „Thomas
Chatterton“ von Hanns Henny Jahnn
"Wir aber, die gleich Dir auf
der Seite derer stehen, denen noch keine Antwort geworden ist… Ja es gibt sie
hier und da in der Welt, und wenn ich sie mir vorstelle, so ist jeder Einzelne
von ihnen wie jener Indianer, dessen Stamm von den Feinden erschlagen wurde,
und der als Letzter am Rand des Meeres hockt und fragt: „ Was soll ich nun
machen? Soll ich Orion werden?“
Jeder allein
zermalmt zwischen Konzernen und Konformismen; entmutigt vom Tagesgeschwätz;
betäubt vom Getöse der Explosionen und vom Geschrei der Fußballplätze; gelähmt
von der mahlenden Gleichgültigkeit des Funktionellen… jeder allein ein
verlorenes Wesen. Für diese einzelnen Frager spreche ich hier.
Denn ob sie
Dich kennen oder nicht, ob sie Dich gelesen haben oder nicht, die Schwingungen
des Satzes, den Du sprichst, dringen über die Einöde aus Zeitungspapier und
durch die Kerkerwände aus Schlagertexten in ihre Seele und geben ihnen die
menschliche Wärme wieder. Dann weicht die Verzweiflung von ihnen, sie erheben
sich von neuem, sie brauchen nicht mehr Orion zu werden. Denn da ist ja noch
Einer, um den es sich lohnt und der nicht im Stich gelassen werden soll. Einer,
der beispielhaft für uns alle, nach dem einfachen Wort sucht, das auszusprechen
nur ihm aufgegeben ist."
Diese beiden
Texte habe ich vor langen Jahren unabhängig voneinander gesammelt. Jetzt, wo
ich aufräume - keine Angst: allzu ordentlich bin ich nicht und will ich nicht
sein - scheinen sie mir sehr stimmig mit der Realität zu sein:
Einerseits
Goethe, der seinen Ruhm genoss, aber sehr wohl von dessen zweifelhafter
Beliebigkeit überzeugt war, andererseits Nossak, der gegen das Versinken des
Werts in der Gleichgültigkeit anschrieb.
Ich sehe die
Fülle der guten Texte, die gegen das mittelmäßige oder uninteressante Geschwätz
- das naturgemäß lieber gelesen wird und nicht selten auch von mir - winzig klein sein mag, aber der Zahl nach
doch unübersehbar groß ist. Ich nehme aber auch das stechende Desinteresse und
den Lärm des Alltags über dem Wort der Sehnsucht, der Liebe und der Einsamkeit
wahr.
Nicht gelesen
zu werden ist unter solchen Umständen das geringste Problem. Das schlimmere
ist, die Sehnsucht des oder der in der Welt Verlorenen nicht zu erreichen. Jean
Paul hat mich erreicht, Virginia Woolf, Robert Walser und einige andere - trotz
Lärm und Gläserklirren aus den VIP -
Sesseln bei suhrkamp und Co, dem anderen Walser, Handke, Kunstknurren von Houellebecq,
Strauß pp.
Ich gehe zur
Andacht des Lebens am Ufer der dunklen See in den Schauern aus Licht und
Schatten von Frühling und Winter. Neben mir gehst Du, Freund, Freundin des
Wunders, im großen Erstaunen. Erreicht Dich mein Gesang aus dem Garten der
Kindheit und von den Musiktagen des Dada Donaueschingen?
Die Amsel,
der Spatz sind in ihre letzten Himmel entflogen. Wohin ging ihre Lied?
In die
bedrückende Stille sage ich Dir meinen Glauben: das Lied kommt zurück! Der
Frühling ist nicht weit. Und wenn Du Dein Ohr auf den Stein legst, kannst Du
die Hufe des Einhorns hören.
Frage mich
nicht, wie das möglich wurde! So selten ist die Sache gar nicht.
19.5.2018
Nachsatz:
Dieser Text
entstand bei einer der immer wieder aufkommenden Zweifel am Sinn dichterischen
Interesses überhaupt anläßlich mangelnden Interesses am eigenen Werk.
Inzwischen bin ich wieder bei mir, nehme meinen Wert wieder aus der Bewertung
heraus.
Der, die Du
etwas aus Dir heraus in die Welt trägst, das Dir Wert ist, laß Dich nicht
beirren. Auch nicht von mir!