Mittwoch, 22. November 2017

Cottage 2017

Ich komme aus den Nebeln Südenglands an John's Hütte an. Gott sei Dank ist er zu Hause. Wir reden nicht viel. Er zieht an seiner Pfeife. Der Rauch duftet würzig. Die dunklen Balken, die abgewetzte Bank. Und es ist warm. Ja, das Feuer knistert im eisernen Ofen.

Was haben wir miteinander zu tun? Wir warten auf Dr. Smirc und vertreiben uns die Zeit mit Trauern. Auch er hat einen Verlust. "Sie hat ihr Leid beenden wollen, nicht weiterschieben auf mich. Aber ich hab es jetzt, muß jede schöne Minute, die die Sonne schenkt, an ihre Schmerzen denken, ohne zu wissen, ob meine Gedanken darüber ihr entsprechen." 

Diese Erfahrung entspricht wohl auch meiner. "Wir müssen ganz schön schaffen, daß wir nicht mit hinab gezogen werden! Wie machst Du das?"

"Ich weiß nicht. Lebe einfach weiter, hoffe auf die Zeit. Aber es geht natürlich nicht ohne nachzudenken. So lenke ich meine Gedanken in die Erinnerung, versuche, mir das Schicksalhafte zu vergegenwärtigen, um meinen Anteil daran nicht zu einem Fels werden zu lassen, unter dem mein Leben erschlagen wird. Aber so leuchtend wie damals wird es wohl nicht mehr werden."

"Ja, wir sind zu einem Leben in Höhlen zurückgekehrt. Aber ein bißschen schön geht schon. Schau Dir mal Deine Bude an! Ist doch gemütlich."

Die Tür geht auf, Smirc kommt. Die Schlammstiefel brav abstellend verlangt er nach einem echt englischen Tee, bitter wie Hartz IV. Er will uns abholen für die Fahrt zur Ouse. Er hat auch schon einen Text für Virginia vorbereitet. Pathetisch natürlich, wie bei twistenden Dichtern so üblich:

"Liebe Virginia, wir möchten uns bei Dir bedanken. Du hast uns die schönsten Seiten Deiner Seele aufgeschlagen, Mrs. Dalloway. In unsere, von deutlich Ichbetontem Willen gepeitschte Welt hast Du die Fragezeichen der Wörter und des Denkens eingegossen. In den Kater der Willensbesoffenheit Deine klare Anschauung. Von der Welt mußtest Du Dich entfernen, um Dich in ihr Erleben hinein versetzen zu können. Davon zuviel hat Dich schließlich umgebracht. Dank für die Begleitung an Deinen treuen Liebenden! Wir denken an dich. Wir danken dem Leben, daß es solche Möglichkeit wirklich werden ließ."

Na ja, es hat etwas von unseren Gefühlen.

Dr. Warnix, Psychagog und schief gelockertes Künstlergebiß, erwartet uns schon. "Entschuldigt meine Verspätung! Stau auf der Gedankenautobahn. Mein Text ist nicht ganz fertig. Aber hier wenigstens das: "Liebe Virginia. Jedes Leben ist ein ganzes Leben! Ob Du nun wirklich eine Legende bist oder ein X von Milliarden wie ich. Die hast uns Teil nehmen lassen an Deinem Innenleben. Ich wünsche uns allen, daß es tatsächlich nach unserem Untergang etwas wie Weiterleben in einem der Energie zufließenden Zustand gibt und in irgendeiner unendlich fernen Zukunft sogar wieder Rückkehr der Materie in individuelles Leben. So etwas wie Du darf nicht verloren gehn."

Plötzlich die Glocken von Big Ben. In den bleiernen Kreisen fliegen Vögel. In ihrem Ruf der Freiheit höre ich die Hoffnung aus der Gemeinschaft. 

Klaus Wachowski 22.11.2017

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