Dienstag, 25. Juli 2017

Ein Text aus grauer Vorzeit



1989 schrieb ich meinen Freunden über vorschnelle Gnade gegenüber Völkermördern einen scharf überlegten scharfen Aufsatz.
Eine neue Generation macht sich daran, die Herrschaft über die ethischen Grundsätze nach ihrem Vorstellungen richtig zu definieren. Es läuft ordentlich Ego ein.
Ich versuche statt Teilnahme an neuen alten Debatten jetzt einmal meinem jungen Text gegenüber den Standpunkt des Alters einzunehmen. Das Ergebnis ist bei etwas mehr Sicherheit der Kenntnis mehr Unsicherheit im Urteilen durch Erleben. Auch dazu ist den Opfern die Möglichkeit genommen.
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Reinheit und Rache sind für gewöhnlich die Rechtfertigungen für Unrecht, Grausamkeit und Unmenschlichkeit. So tief ist das Geheimnis von Erfolgen wie "Spiel mir das Lied vom Tod" oder "Rambo" und "Dirty Harry" eigentlich nicht und ich wundere mich, wie ich glauben konnte, in Clint Eastwood einen Menschenfreund vor mir zu haben.
Das Recht versucht in der Regel demgegenüber der Person gerecht zu werden, auch der Person, die durch eine Tat eine Strafe erwirkt hat.
Ich versuchte der Person des Opfers gerecht zu werden. Wo Täter Angehörige und Nachbarn sich in weitläufigen christlichen Erörterungen der göttlichen Gnade ergingen, den Opfern und ihren Angehörigen damit das einzig verbliebene Recht aus der Hand nahmen, versuchte ich gerecht zu bleiben und es zurückzugeben.
Der Massenmörder X aus Japan, der grausame Schlächtereien in China und dem übrigen Asien anordnete, war die Waffe aus der Hand zu winden, mit der er sich aus der Verantwortung stehlen wollte. Und soweit ein Opfer noch fähig war, dem Impuls der Rache zu widerstehen, war der Täter doch nach dem vollen Inhalt des Gesetzes zu strafen!
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Inzwischen stehe ich meinem Text, meiner Gnadenlosigkeit von damals mit bedenklichem Kopfwackeln gegenüber.
Der Täter von damals ist heute ein Anderer. Man beurteilt ja nicht nur die Tat, sondern auch die ausführende und nun ihrer Macht beraubte Persönlichkeit des Täters. Vielleicht ist sogar der äußerst seltene Fall eingetreten, daß zur Angst noch Reue hinzu tritt.
Aber: Das Opfer von damals ist tot und hat keine Gelegenheit dem Veränderten unverändert oder selbst verändert gegenüber zu treten. Und selbst in den seltenen Fällen des Überlebens fordert das Bleibende, der Schmerz, nach Rücknahme des Triumphs, der in der Tat als Genuß, Vorteil, Gewinn den Täter lockte.
Der Du urteilst: das Urteil steht Dir so wenig zu wie die Verzeihung.
Deine Aufgabe bleibt, dem Opfer zu seinem Recht auf Rücknahme des Triumphs zu verhelfen. Die Grenzen für Rache und Bedürfnis nach einer vom Bösen reinen Welt haben die Recht setzenden Bürger hoffentlich schon lange vorher in Zeiten des Friedens richtig gesetzt. Aber ich befürchte, solange die Unmenschlichkeit immer wieder einmal zur Herrschaft drängt, wird für kühles Abwägen nicht ausreichend Zeit und Raum bleiben.
Bis dahin sollte man den einen Umstand nicht vergessen, daß das Recht nur einem die Gnadenentscheidung einräumt: dem Betroffenen. Vielleicht noch dem direkt Hinterbliebenen. Dem nicht Betroffenen steht es nicht zu, die Tat in einer übergriffigen Gnadenentscheidung zu wiederholen und den Schmerz um die glotzende Gleichgültigkeit zu erhöhen. Selbst der gnädigste unter den Religionsstiftern, Jesus Christus, konnte dem keine übermenschliche Erlösung in der Barmherzigkeit versprechen, der nicht Reue zeigte.

Insofern kann ich von meinem 89er Text nicht abrücken. Wohl von dem Tonfall, in dem ich heute etwas viel von ideologischer Reinheit vernehme.

"Was ist so schäbig an der schäbigsten Entschuldigung der Reuelosen, daß auch Ihr nicht anders gehandelt hättet? Nicht Ihr seid, sondern sie waren Täter, Bejubler und Profiteure von Tätern. Wo sie nicht bereuen, wo Opfer eine eventuelle Reue nicht annehmen können, weil sie den der Toten zu respektieren haben, ist Entschuldigung Ausrede, Bestätigung des Verbrechens. Außerdem aber der schamlose Versuch, die nicht schuldig gewordenen durch Anbiederung auf ihre Seite zu ziehen, schuldig zu machen der Entscheidung anstelle der Opfer. Niemand als sie hat das letzte Recht der Gnadenentscheidung. Wer ihnen dieses zu nehmen versucht, bestätigt den Triumph der Tat über das Gewissen, jene letzte Barriere gegen die Unmenschlichkeit.
Wir sind nicht so, wie sie uns unterschieben wollten. Und ob wir je so handeln werden und gar so ohne jede Reue, das muß sich erst zeigen! Dazu werden wir es eben nicht auf sich beruhen lassen und unser Wollen, unsere Taten an ihren Taten prüfen. Sonst wären wir, wie sie uns haben wollen: wie sie.
"Ärzte im Dritten Reich" von Robert Lifton: Dort gab es alle Sorten Charaktere, aber auch zwischen dem "moralischen" Täter und dem Verräter (den es ebenso als Ausnahme gab wie jenen) den alles entscheidenden Unterschied der Tat, welcher der Täter sich entziehen kann, sei er danach auch Opfer. Dieses ist ihr aber selbst dann, wenn es sich zum Verrat entschließt, noch unterworfen. Nur wer nicht sehen will, kann sich seiner selbst sicher sein - die Täter sind es bis heute. Ob wir selbst Täter sein können oder gar einmal werden, wissen wir nicht. Wohl aber, daß wir es nicht sein wollen. Ganz anders als jene, welche eben Täter sein wollten, was sie durch den Mangel jeder Reue beweisen.
Ich habe mit manchem zu tun, durch den ein höherer Wille durchrutscht wie durch einen SS- Automaten, von dem er ins pöbelhafte gedreht wird, wie durch einen Gauleiter oder brutalisiert wie durch einen SA- Stiefel. Man darf seine Aufmerksamkeit daher nicht nur auf das Gewollte beschränken. Auch der Ausführende kann gefährlich sein.
Das Leben bleibt eine missliche Sache, die mit Nachdenken nicht zu ändern, nur zu begreifen ist. Und so finden wie die Egoisten auch die Gerechten und die es sein wollen stets den gleichen Ärger: nicht zur Ruhe kommen zu können. Was bleibt, als dies anzunehmen und den Pessimismus nicht abzuweisen, um von den Widerwärtigkeiten des Lebens nicht allzusehr verletzt zu werden."
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Wer richtet hat auch das Problem des Henkers. Die Schwierigkeit, dadurch dem Täter nahe zu kommen. Reinheit und Rache haben damit kein Problem.

Aber das letzte Wort bleibt dem und der von der Tat getroffenen.

Klaus Wachowski 1.1.89 -nachgesehen 7/2017

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